Eröffnung des Kulturhaus Landsynagoge Rödingen

Ullmannsches Grau-Blau und die Säge in der Thoranische
Von Dorothée Schenk [07.09.2009, 08.21 Uhr]

Vom Ullmannschen Grau-Blau und der Säge in der Thoranische kann Monika Grübel trefflich erzählen. Als Projektleiterin hat sie das Haus Mühlenend 1 in Rödingen bei Titz restauriert. Es beherbergt die einzig erhalten Landsynagoge in der Großregion Düren-Aachen-Euskirchen. Jetzt wurde sie als LVR-Kulturhaus Landsynagoge Rödingen der Öffentlichkeit übergeben.

Kaum wiederzuerkennen: Die Frauenempore frisch restauriert und noch zu Zeiten, als die Synagoge zur Werkstatt des Schaustellers diente.

Kaum wiederzuerkennen: Die Frauenempore frisch restauriert und noch zu Zeiten, als die Synagoge zur Werkstatt des Schaustellers diente.















„S. Ullmann“ ist in die Scheibe des Familienzimmers im Obergeschoss geritzt. Zart, aber mit Nachdruck. Ein letztes Zeichen von „Tante Billchen“, wie sie von ihrer Familie genannt wurde. 1942 wurde Sibilla Ullmann, die letzte Bewohnerin des Hauses mit der Synagoge, ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo sie bald an Unternährung starb. Der Schriftzug ist sicher die eindrucksvollste der Spuren, die das Team um Judaistin Monika Grübel gefunden und als Stücke Geschichte des Hauses erhalten haben. Diese ist lang und bewegt. Ein ungewöhnlich authentisches Beispiel für das jüdische Leben auf dem Land, das bis in die heutige Zeit hineinreicht.
1999 kaufte der Landschaftsverband Rheinland (LVR) das herunter gekommene Wohnhaus.

Die Zeit schien hier stehen geblieben zu sein. Seit 1841 hatte sich nichts verändert: Fensterrahmen, Türklinken und Raumaufteilung waren unverändert erhalten. Im Hinterhof bildete das Haus mit dem einzelnd stehenden Bau das Ensemble. Er beherbergte zu dieser Zeit die Werkstatt des letzten Besitzers, einem Schausteller. Die Decke war mit farbigen Zeltplanen abgehängt und verdeckte fast vollständig den Blick auf eine Empore. Unvorstellbar, welche Fantasie die Denkmalpfleger haben mussten, um in den Gebäuden das Vorsteherhaus mit der Synagoge im Hof zu entdecken, das bereits 1996 unter Schutz gestellt worden war. Gepaart mit der Vorstellungskraft ist sicher die Entdeckerfreude: Mit detektivischem Gespür fanden die LVR-Mitarbeiter unter dem Schutt originalen Bauschmuck, wie Stukkaturen und eine Rosette, aber auch die Verzierungen vom Karussell des Schaustellers.

Wie kam es zu der Entdeckung der im Hinterhof verborgenen Landsynagoge, die aus purer Vergesslichkeit und Umnutzung unverändert erhalten blieb? Ein Projekt der Hauptschule Titz machte es sich Mitte der 1980er Jahre zur Aufgabe, die jüdischen Friedhöfe in Müntz und Rödingen wieder herzurichten. Ihr Lehrer war, erzählte Bürgermeister Josef Nüßer aus Titz, Dr. Hermann-Josef Paulißen. Der Laienhistoriker stieß bei den Recherchen auf die jüdische Landgemeinde und Hinweise auf die Synagoge. Die ersten Puzzlesteine waren gefunden. Im Kontext des Projektes „Jüdisches Kulturerbe in Nordrhein-Westfalen“ in den 1990er Jahren geriet das Gebäudeensemble erneut in den Blick. Weiterer Glücksfall: Der damalige Direktor des LVR, Ferdinand Esser, war Titzer und es war, so Nüßer schmunzelnd, wenig Überzeugungskraft nötig, ihm das Projekt nahezubringen.

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Sibilla Ullmann ritzte ihren Namen in die Fensterscheibe, bevor sie ihr Elternhaus in Rödingen verlassen musste.

Sibilla Ullmann ritzte ihren Namen in die Fensterscheibe, bevor sie ihr Elternhaus in Rödingen verlassen musste.

Fast nahtlos lässt sich heute die Geschichte der Familie Ullmann, Stifter jener Synagoge nacherzählen und im schmuck restaurierten Gebäude nacherleben: Der Kauf eines Wohnhauses durch die Urahnen der Familie, Philipp Sussmann und seiner Frau Sophia, ist das erste Dokument. Bereits der Stammvater, der nach einer Gesetzesänderung 1808 den Familiennamen Ullmann annahm, richtete eine Betstube im Haus ein. So war wohl schon damals am Mühlenend 1 das Zentrum jüdischen Lebens im Dorf.

Sein Sohn Isaak ließ das Haus umbauen, so, wie es noch dem Besucher erscheint. Gleichzeitig erhielt er die Genehmigung zum Bau einer Synagoge. Wie sie ausgestattet war, dass verriet im Jülicher Archiv ein Ausstellungskatalog von 1925. Hier wurden die „Ritualgegenstände aus Rödingen“ gelistet und zum Teil im Bild veröffentlicht. Diesem Umstand verdankt es der LVR auch, dass mittels Projektor der Besucher der frisch restaurierten Synagoge sowohl den Eindruck der Werkstatt mit der Säge an der Wand, als auch den Originalzustand mit dem Thoraschrein bildhaft zu sehen bekommen.

Aus alten Dokumenten bekannt ist, dass die Familie vom Viehhandel lebte und sich als Metzger verdingte Sichtbar ist es für heutige Besucher durch die erhaltenen Haken und die Rollen im Hof, an denen das Vieh zur Schlachtung emporgezogen wurde. Der Inhalt des Brunnens, der 2003 gesichert wurde, förderte außerdem die Tierknochen und das Schlachtbeil zutage.

Zurück zum Ursprung führte die Restaurierung auch im Wohnhaus, denn natürlich haben die Bewohner in den Jahren mit Farbe und Wandschmuck ihre eigene Note hinterlassen. Unter den Farbschichten fanden sich aber noch die Originalfarben – das besagte Ullmannsche Grau-Blau, wie es Monika Grübel taufte – sowie Schablonen-Malereien und die Schichten an den Tapeten bis ins Jahr 1841 zurück. Auch diese Hinterlassenschaften sind bis auf den Grund im neueröffneten LVR-Kulturhaus Landsynagoge Rödingen sichtbar gemacht worden. Gleiches gilt für den Platz, an dem die Mesusot, der Aufbewahrungskapsel für biblische Texte am Türrahmen, befestigt war. So gehen Bau- und Familiengeschichte(n) Hand in Hand.

Mehr zur Ausstellung lesen Sie im Artikel Rödinger Landsynagoge wächst zum Kulturhaus und Museum

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