Dr. Thomas Kreßner – der öffentliche Mensch und das „Arbeitstier“

Von meinem Temperament her bin ich ein Sonnyboy
Von Dorothée & Arne Schenk [25.03.2009, 20.25 Uhr]

Mit dem Mindestalter, das man als Pfarrer haben kann, nämlich exakt zum 30. Geburtstag wird Dr. Thomas Kreßner 1978 in Jülich zum Nachfolger von Pfarrer Manfred Keller gewählt. Seither hat sich der Herzens-Kölner in der Stadt an der Rur einen Namen als Prediger, Ökumeniker und kritisch-engagierter Christ gemacht. JAm Sonntag, 29. März, feiert er in der Jülicher Christuskirche seinen Abschied. Ein Blick zurück auf sein Berufsleben.

Er gab 30 Jahre lang der Evangelischen Gemeinde im Kirchenkreis Jülich ein Gesicht: Pfarrer Dr Thomas Kreßner nimmt seinen Abschied.

Er gab 30 Jahre lang der Evangelischen Gemeinde im Kirchenkreis Jülich ein Gesicht: Pfarrer Dr Thomas Kreßner nimmt seinen Abschied.

Was haben Sie auf den Weg gebracht?

Man ist ein bisschen so wie ein Hausarzt, der die Menschen auf den Stationen des Lebens begleitet. Das ist für die Leute wichtig und der Vorteil, wenn man an einem Ort bleibt. Ich habe zunächst einmal versucht, die gute Arbeit, die ich in Jülich vorgefunden habe, fortzuführen, und das Niveau zu halten. Ich habe einen diakonischen Akzent gesetzt: Dazu gehört der Bau eine Wohnanlage mit 30 Wohnungen am Ulmenweg und die Verbesserung der Zusammenarbeit mit dem Diakonischen Werk. Außerhalb von Jülich war ich auch aktiv: Ich war in der Theologischen Prüfungskommission, Vorsitzender des Nominierungsausschusses, Mitglied im Finanzausschuss des Kirchenkreises Jülich und als Migtlied des rheinischen Landessynode Präsident der Dr. Johannes-König-Stiftung. Früher war ich Jugendpfarrer des Kirchenkreises, war Leiter des Diakonischen Werkes des Kirchenkreises – ansonsten weiß ich nicht so genau, was ich auf den Weg gebracht habe…

Das was mich leidenschaftlich interessiert, ist Theologie. Ich habe als Theologe angefangen und bin es immer noch. Vielleicht nicht der schlechteste… Das Denken des Glaubens ist mir wichtig. Ich möchte nicht am Eingang der Kirche meinen Verstand abgeben müssen. Protestanten sollen mit wachem Verstand die heilige Schrift selbst überprüfen. Das, was ich sage, ist selbstverständlich nicht das Evangelium, sondern meine Sicht, und man kann es auch anders sehen. Das kann ich gut akzeptieren.

Apropos „anders sehen“: Was gefällt Ihnen am Katholizismus?

Zunächst kenne ich eine Reihe von sehr liebenswürdigen Amtsträgern und praktizierenden Katholiken – bei mir geht das zuerst über die menschliche Schiene. Da kann man es sich von Höflichkeits wegen schon gar nicht leisten, nicht ökumenisch zu sein. Auf der kognitiven Ebene… ich habe supertoll zusammen gearbeitet mit dem Pastoralreferenten Bernd Dickmeis und seinem Nachfolger Michael Richardy. Ich habe Peter Jöcken immer als Ökumeniker erlebt, komme mit dem Konni Keutmann super klar – das sind einfach tolle Leute, mit denen man gut arbeiten kann. Außerdem finde ich den rheinischen Katholizismus charmant. Da sind dann 2 + 2 schon mal 5. Die Katholische Kirche hat sich, wenn ich es jetzt mal intellektuell betrachte, nach dem 2. Vatikanischen Konzil erheblich bewegt.

Das führt uns zur aktuellen Diskussion um Papst und Pius-Brüder: Inwieweit betrifft das die evangelische Kirche vor Ort?

Außer dass es uns keine gut Laune macht, hat es Null Auswirkungen. Als der heutige Bischof von Rom noch Kardinal Ratzinger war, hat er 2000 den Text „Dominus Jesus“ veröffentlicht. Der hat uns verletzt. Dafür hat sich Pastoralreferent Michael Richardy in der Kirche bei den Protestanten öffentlich entschuldigt. Schon bevor er Papst wurde, war klar, dass Benedikt kein Ökumeniker ist. Das muss er ja auch nicht sein. Auch ein solch konservativer Papst kann ein bestimmtes Niveau der Ökumene in Deutschland nicht zerstören. Weil die Beziehungen und Überzeugungen nicht kaputt gehen.

Von den Pius-Brüdern halte ich vergleichsweise sehr wenig, vor allem, weil sie das 2. Vatikanische Konzil, das für mich als Protestant wichtig ist, weil es eine Gesprächsfähigkeit und eine intellektuelle Denkfähigkeit der katholischen Kirche ermöglicht hat, zurückdrehen wollen. Die Verleugnung des Holocaust ist einfach grober Unfug und das kann man dem Papst nicht anlasten, würde ich auch nicht tun. Ich bin übrigens auch der Ansicht, dass es nicht richtig wahr, dass die Bundeskanzlerin den Papst öffentlich kritisiert hat. Die deutsche Bischofskonferenz hat an dem Punkt ja auch sehr tapfere und klare Position bezogen. Ich habe auch nichts anderes erwartet. Als Sympathisant der rheinischen Katholiken sage ich: Rom ist weit weg. Wir versuchen hier unsere Arbeit zu tun und das ist im Bistum Aachen auch deutlich anders als im Erzbistum Köln. Aachen ist sehr ökumenefreundlich orientiert.

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Seine Freude an der Bühne lebte Pfarrer Dr. Kreßner nicht nur auf der Kanzel aus, wie hier bei der Aufführung der Jülicher Hochzeit (r) zu sehen.

Seine Freude an der Bühne lebte Pfarrer Dr. Kreßner nicht nur auf der Kanzel aus, wie hier bei der Aufführung der Jülicher Hochzeit (r) zu sehen.

Kanzel, Kabarett und Kino: Eine Hang zur Selbstdarstellung gepaart mit der Neigung zur Eitelkeit ist Ihnen nicht fremd. Wie passt das zum Amt eines Pfarrers?

Voll erwischt! (lacht) Jetzt möchten Sie gerne von mir hören, dass ich ein Sünder bin, richtig? Man hat auf der Kanzel eine exponierte Position. Natürlich ist das eine Bühne. Ich liebe die Bühne. Wenn ich noch mal auf die Welt komme, werde ich vermutlich Opernsänger. Wenn ich eine Bühne sehe, möchte ich auch drauf springen, weil ich so eine Freude habe, etwas darzustellen. Und die Pfarrer-Rolle ist natürlich eine Rolle, da darf man nicht aus der Rolle fallen. Das habe ich versucht, nicht zu tun. Klar, das hat etwas mit Eitelkeit zu tun, das gebe ich zu. Aber hoffentlich ist es relativ kontrolliert. Ich würde mich, je älter ich werde, um so mehr als Künstler bezeichnen. Musik, Kunst, Darstellung, Schönes wahrzunehmen – das gehört zu mir. Bei bestimmten Sachen bin ich sprachlos, weil mich die Schönheit, oder Literatur so anspricht, dass ich… ja, zittere vor Vergnügen.

Rede hat auch immer etwas mit Kunst zu tun. In der Homiletik, in der Lehre von der Predigt, gab es eine Tendenz, die besagte: „In die Predigt gehört keine Rhetorik, keine Schnörkel, kein Schönes; ich bin der Bote, der das Wort Gottes auszurichten hat.“ Und wenn es noch so trocken ist, ich bringe das als Bote `rüber – das ist nicht mein Konzept. Auch der Dümmste weiß, dass Kommunizieren über die Person geht. Ich kommuniziere mit meinem Sein das Evangelium, und dann hat es auch mit mir zu tun und mit meiner Lust. Ich habe Lust, Geschichten zu erzählen.

Was hätten Sie gerne noch bewirkt?

Wo ich ein Stückchen gescheitert bin, ist in der Ästhetisierung der Christuskirche. Ich hätte gerne die Christuskirche, wenn ich das so sagen darf, schöner. Ich hatte vor, einen Bilderzyklus mit abstrakten Bilder anzukaufen. Es war ein Zyklus über Pfingsten und die Kreuzigung von der Jülicher Künstlerin Marion Grawatsch. Ich finde, die moderne Kunst hat den Vorteil, dass das Bilderverbot, das wir als Reformierte haben, respektiert wird und der Betrachter selbst viel daraus sehen kann. Ich bin daran gescheitert, dass der Mainstream im Presbyterium und der Kirchengemeinde gesagt hat: Wir wollen das Geld den Armen geben – also ganz im theologisch exakten Sinne. Ich habe an dem Punkt nicht so stark gekämpft.

Aber wir haben es immerhin geschafft, dass die Christuskirche nicht nur eine konzertante Kirche ist, sondern dass wir auch Kunstausstellungen mit christlichem Hintergrund gezeigt haben – da zeigt der Raum, was er noch alles kann. Ich finde, dass der Raum durch Kunst und Musik durch Menschen auch noch spricht und schön wird. Und ich habe eine schöne Broschüre zur Christuskirche gemacht.

Ansonsten ist mir viel gelungen, weil die Menschen und vor allem das Presbyterium unglaublich wohlwollend sind. Die haben sich auf fast alles eingelassen. Das wiederum ist nicht mein Verdienst – das ist Glück. Das ist für einen Protestanten ohnehin undenkbar, dass etwas „mein Verdienst“ ist. Es ist Gnade und Geschenk. Von meinem Temperament her bin ich ein Sonnyboy.

Wofür fehlte die Zeit?

In meiner Selbstwahrnehmung habe ich tierisch viel gearbeitet, weil ich auch viel Lust dazu hatte. Mein größter Gegner, den ich habe, ist sehr stark – der bin ich selber. Mein Ehrgeiz ist etwas Starkes. Was ich noch nicht geschafft habe, ist ein richtig tolles Filmprojekt. Da habe ich dilettiert im Konfirmanden-Unterricht mit Jesusfilmen und dergleichen. Da möchte ich gerne noch mehr zu machen.

Zeit braucht man eigentlich, um sich in Ruhe auf eine öffentliche Rede vorzubereiten, auch eine innerliche Ruhe. Die habe ich in der Regel nie gehabt, sondern war immer im Druck. Aber ich kann mit dem Druck gut leben. Jetzt, wo der Druck nicht mehr so da ist, merke ich, es wird immer besser, man kann sich besser entfalten, die Person kann besser schwingen und kommunizieren. Ansonsten ist ein Lieblingsthema der Pfarrerin und des Pfarrers die Zeit. Sie sagen immer: Lasst Euch Zeit, ihr seid gerechtfertigt, ihr müsst keine Leistung bringen, und selbst leben sie das nicht, sie leben einen unglaublichen Druck. Insofern ist die theologische Existenz völlig bekloppt: Man predigt etwas anderes, als man lebt. Weil er das merkt, muss er immer die Zeit als Zeit thematisieren. Ich glaube, ich habe die Zeit, die ich hatte, für mich ziemlich ausgekostet.

Was ich aufgegeben hatte, nachdem ich 40 Sendungen gemacht hatte, war Rundfunk. Die Zeit reichte nicht mehr. Meine Redakteurin hat mir gesagt, ich könnte sofort wieder anfangen, und das werde ich als erstes wieder machen. Da habe ich Lust zu: Kleine Kabinettstückchen zu machen. Früher habe ich sie selbst inszeniert, teilweise mit meiner Tochter, teilweise mit meiner Frau. Dialoge, kleine Krimis geschrieben als Morgenandacht. Da habe ich unheimlich Spaß gehabt.

Was ich noch nicht geschafft habe…ich möchte ein Buch über das Glück schreiben. Da bin ich mit meinem Manuskript noch nicht weit. Ich habe eine Stoffsammlung und weiß, was ich sagen will.

Ich würde gerne noch Kunstgeschichte studieren. Und zwar möchte ich gerne über Schinkel und den Kirchenbau des Protestantismus des 19. Jahrhunderts etwas machen. Da habe ich eine Phantasie dazu. Dann würde ich gerne noch mal Kabarett machen und ich möchte noch lernen, vernünftig zu fotografieren. Ich habe geglaubt, ich könnte das supergut. Ich stelle aber fest, es gibt immer noch Leute, die doppelt so gut sind.

Ihr Lebensmittelpunkt bleibt Jülich, sagen Sie kurz, warum?.

Weil ich Jülich mag, erstens, und was wichtiger ist, dass ich viel in Jülich mag. Ich habe Wurzeln. Ich könnte mir beispielsweise nicht vorstellen, an den Bodensee zu fahren, obwohl das in Deutschland mein Lieblingsgebiet ist. Ich brauche dieses Rheinische, ich brauche die Kleinstadt. Ich habe meine Ärzte, Freunde… die Kassiererin beim Aldi kenn ich und die beim Extra und die Fleischverkäuferin kenn ich auch, die mir extra noch Wurst geben. Das finde ich schön. Ich war gar nicht auf die Idee gekommen, woanders hin zu gehen. Ehrlich nicht. Es ist ja von Jülich aus bis Köln nicht weit. Vielleicht entdecke ich auch noch stärker Aachen und Düsseldorf…

Was bleibt für den neuen Pfarrer/ die neue Pfarrerin zu tun?
Das muss das Presbyterium entscheiden. Aber ich möchte, dass die neue Pfarrerin oder der neue Pfarrer frei ist und total frei sein sollte, neue Wege zu gehen, die ich nicht gegangen bin, und auch Dinge nicht mehr macht, die ich gemacht habe. Da bin ich demütig und glaube auch, dass ich ersetzbar bin.


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