Zweite Neugründung in 100-jähriger Vereinsgeschichte

Insolvenz: SC Jülich 10/97 hat ausgespielt
Von Dorothée Schenk [13.09.2008, 10.41 Uhr]

Es gibt keinen Abstoß mehr und keinen Einwurf – das Spiel ist abgepfiffen: Der geschäftsführende Vorstand des Traditionsfußballvereins Jülich 1910/97 um Rechtsanwalt Michael Lingnau hat in einer Pressekonferenz bekannt gegeben, dass am Freitag, 12. September, Insolvenz beim Gericht in Aachen angemeldet worden ist. Doch das „Kompetenzteam“, das erst am 18. Juni gewählt worden war, gibt nicht auf: Die zweite Neugründung in der fast 100-jährigen Vereinsgeschichte steht an. __________________ AKTUELL 2012 „Erfolg: Jülich 10/97 startet bei Schwarzer Null

Unverdrossen mutig: Der Vorstand von Jülich 10/97 plant die zweite Neugründung des Vereins.

Unverdrossen mutig: Der Vorstand von Jülich 10/97 plant die zweite Neugründung des Vereins.

„Tage und Nächte habe wir seit 18. Juni Akten gesichtet“, erklärte Zehner-Vorsitzender Lingnau und dabei kamen stetig neue fatale Fakten auf den Tisch – und in den vergangenen sechs Wochen immer neue Schreiben vom Finanzamt. Die Fakten: Die Steuerschulden alleine bis ins Jahr 2002 von rund 50.000 Euro sind fällig. Die Vollstreckungsanordnung des Finanzamtes war schon eingetütet, als der neue Vorstand zum Gespräch in die Wilhelmstraße kam. Bei der Sparkasse ist seit Jahren ein Konto um 25.000 Euro überzogen; es sind außerdem weitere Konten und Bargeldkassen aufgetaucht, die bislang ungekannt waren. Grob schätzt stellvertretender Vorsitzender Elmar Fuchs die Verbindlichkeiten derzeit auf 100.00 Euro.

Wegen Verstößen gegen das Vereinssteuerrecht ist dem Verein die Gemeinnützigkeit nachträglich aberkannt worden. Das bedeutet auch für die Jahre 2003 bis 2007, deren steuerliche Prüfung noch aussteht, werden Gewerbesteuer, Körperschaftssteuer und vermutlich auch Lohnsteuer fällig. „Die Versäumnisse des Altvorstandes sind gravierend und mindestens grob fahrlässig“, so Lingnau. Damit war eine Insolvenz unvermeidbar, wollte sich der amtierende Vorstand nicht der Verschleppung schuldig machen.

Für den nicht entlasteten Alt-Vorstand um Peter Schmitz kann das bedeuten, dass er in die persönliche Haftung genommen wird, also das Finanzamt ihnen in die private Geldbörse greift. Mit diesen Aspekten wird sich künftig der Insolvenzverwalter beschäftigten.

Per Zufall sei das Finanzamt dem Verein auf seine marode Buchführung gekommen: Bei einer Betriebsprüfung war wohl aufgefallen, dass über ein und denselben Vorgang sowohl eine Rechnung als auch eine Spendenquittung existierten. Die Spitze des Eisbergs einer Misswirtschaft wie sich herausgestellt habe, die zehn Jahre lang von Peter Schmitz als Vorsitzendem, dem technischen Beigeordneten der Stadt Jülich Martin Schulz als Stellvertreter, und Rainer Frings seit 2001 nicht mehr Mitglied des Vorstandes aber zuständiger Steuerberater betrieben worden sei.

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Der Zwangsabstieg der 1. Mannschaft steht mit ziemlicher Sicherheit bevor.

Der Zwangsabstieg der 1. Mannschaft steht mit ziemlicher Sicherheit bevor.

Unter anderem sie waren 1997 angetreten, um den durch Unterschlagung in die Schlagzeilen und finanziellen Ruin gekommenen Fußballverein zu retten. „Um so unverständlicher ist es, dass der Altvorstand aus den Fehlern der 90er Jahre nicht gelernt hat“, zeigt sich Lingnau fassungslos. Übel nehmen die geschäftsführenden Vorständler ihren Vorgängern vor allem, dass sie nicht nur den Verein heruntergewirtschaftet haben – was bei Amtsantritt bekannt war –, sondern die Tatsachen verschwiegen hätten. Mit diesen konfrontiert hätte der im Juni abgelöste Vorstand „ohnmächtig und bar jeder Begründung für die Vorkommnisse“ mit Schulterzucken reagiert.

Völlig unverständlich ist die Situation Claus Nürnberg. Der mit der Sanierung von Unternehmen befasste Betriebswirt hat anhand eines Budget-Plans aufgeschlüsselt, dass der Verein eigentlich gesund ist – „wenn man die Grundsätze Juristerei und das Steuergesetz beherrscht und vernünftig mit Geld umgeht“. Das sollen auch die Banken so sehen, die laut Vorstand die Potentiale des Vereins von den handelnden Personen trennen würden.

„Wir wollen den Rucksack an Schulden ablegen“, erklärte Michael Lingnau mit ungebrochenem Elan stellvertretend für seine Vize Manfred Adrian, Achim Esser, Elmar Fuchs und Jan-Oliver Schayen und Schatzmeister Claus Nürnberg. Darum wurde jetzt der „sauberen Schnitt“ gemacht werden. Schon, um die nötigen 400 Euro, die Fußballverband Mittelrhein für den Spielbetrieb in einer Saison bekommt, bis Monatsende auf den Tisch legen zu können. Sollte das nicht gelingen, wird vom Bambini bis zur 1. Mannschaft kein Ball mehr getreten werden dürfen. Dieses Szenario schließt Claus Nürnberg ausdrücklich aus. Die Sympathien für den Verein seien groß, so dass er zuversichtlich ist, diese Summe zu bekommen. Außerdem setzt der Vorstand auch auf den Insolvenzverwalter, der auch in diesem Punkt Entscheidungsgewalt hat.

Verabschieden müssen sich die Zehner allerdings ziemlich sicher mit der ersten Mannschaft aus der Bezirskliga. Mit einer Insolvenz ist immer auch ein Zwangsabstieg verbunden. Dennoch würde der Vorstand gerne seine erste Mannschaft halten – im Sinne der neuen Säule „Jugendarbeit“. Denn, so gibt Elmar Fuchs zu bedenken, eine 1. Mannschaft, die in der Bezirksliga spielt, ist auch für die Jugendlichen ein Ansporn und sollte darum gehalten werden. Der Blick geht also unvermindert in die Zukunft, die im Juni gesetzten Ziele, nämlich den Traditionsverein wirtschaftlich stabil ins Jubiläumsjahr zu führen, sind ungebrochen.

Elmar Fuchs hat bereits einen Juristen wegen einer Neugründung beauftragt. Wie viele Vereinsmitglieder den Wechsel mitmachen, ist unklar, weil nicht einmal klar ist, wie viele Mitglieder Jülich 10/97 überhaupt hat. „Es existieren keine vollständigen Mitgliederlisten“, erklärt Claus Nürnberg mit einer Miene die verrät, dass den Betriebswirt nichts mehr überrascht. Eine Schätzung geht von 400 Mitgliedern aus.

Am Donnerstag, 18. September, soll es ein Treffen mit allen „zentralen Figuren“ des Vereins von den ehrenamtlichen Trainern bis zu den Spielern der 1. Mannschaft geben, ehe im Oktober eine Mitgliederversammlung einberufen werden soll.

Zur offiziellen Pressererklärung vom Vorstand SC Jülich 10

AKTUELL: April 2009
Zehner im Sommer schuldenfrei in der Kreisliga
Der Traditionsfußballverein SC Jülich 10/97 wird laut Vorsitzendem Michael Lingnau im Sommer 2009 erstmals seit zehn Jahren schuldenfrei sein. Die Gläubigerversammlung stellt hierfür die Weichen am Dienstag, 28. April, wenn das von Rechtsanwalt Dr. Christoph Niering ausgearbeitete Insolvenzplanverfahren erwartungsgemäß akzeptiert wird. Eine Neugründung ist damit vom Tisch. Der Wehrmutstropfen: Der Zwangsabstieg der 1. Herrenmannschaft in die 1. Kreisliga.


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