Zwiegespräch zum 85. Internationalen Frauentag
Liebe ist die Schwachstelle der Frauenbewegung
Von Dorothée Schenk [10.03.2006, 18.02 Uhr]
Fakt ist: Deutschland ist neben Großbritannien das Land, in dem Frauen am schwersten den Chefsessel besetzen können. Unter den 25 Top-Managerinnen ist keine Deutsche. Fakt ist auch: Frauen bekommen im Durchschnitt immer noch 23 Prozent weniger Lohn. Zwar haben sie in der Bildung die Männer überholt, aber der Anteil an Zahl der erwerbstätigen Frauen in Deutschland stagniert seit 2000. Dennoch wurde viel erreicht: Seit den 70er Jahren (!) muss die Ehefrau ihren Gatten nicht mehr um Erlaubnis fragen, wenn sie einen Beruf ausüben will. Und seit 1993 gilt Gewalt gegen Frauen als Menschenrechtsverletzung. Aber das Ziel ist noch lange nicht erreicht. In einem Zwiegespräch unterhalten sich Irene Fröhlich, Vorsitzende der Frauenunion in Jülich, und Brigitte Habig, selbstständige Galeristin, Autorin und Mitbegründerin des Jülicher Vereins „Frauen helfen Frauen“, über den Sinn des Frauentags und Veränderungen seit Beginn der Bewegung.
![]() Diskutierten über die Frauenbewegung: Irene Fröhlich (l.) und Brigitte Habig (r.) |
Wozu dient im 95. Jahr ein Internationaler Frauentag? Welche Wirkung kann er in der Öffentlichkeit erzielen?
Irene Fröhlich: Wir müssen immer wieder schauen, wo stehen wir, was ist noch zu tun. Dafür ist der Internationale Frauentag wichtig. Erst wenn ein konkreter Anlass besteht – wie etwa eine Existenzgründung – dann fällt Frauen auf, wie entscheidend das Geschlecht sein kann. Veränderungen entstehen immer nur durch Unzufriedenheit.
Brigitte Habig: Reden wir von emanzipierten Frauen, oder von hart arbeitenden? Wer eigenes Geld verdient und Karriere macht, muss nicht unbedingt emanzipiert sein. Die Gleichberechtigung ist gesetzlich verankert, ist aber nicht dasselbe wie Gleichwertigkeit. Ein Frauentag im Jahr ist nicht genug. Aber es ist ein Tag, an dem sich Kräfte sammeln, Rückblick gehalten wird und der Blick in die Zukunft geht.
Irene Fröhlich: Die Veranstaltungen haben zu einer besseren Vernetzung der Frauen über die Fraktionen und Ämter hinweg geführt.
Brigitte Habig: Vor allem die Jülicher Gleichstellungsbeauftragte Katarina Esser hat Großartiges geleistet. Vor Jahren wäre das Vortragen der „Vagina-Monologe“, Texte über Menstruation, durch Jülicher Frauen zum Internationalen Frauentag 2004, beispielsweise undenkbar gewesen. Gerade solche Veranstaltungen lösen aber kleine Lawinen aus. Nur so geht Veränderung. Die jüngeren Frauen glauben, was ihnen an Rechten zusteht, sei schon immer so gewesen. Mit der Frauenbewegung erst kam die Gleichberechtigung, die Möglichkeit zum Studium und eigenem Konto.
Was haben Frauen für Frauen in Jülich erreicht?
Brigitte Habig: Das ist sicher die Gleichstellungsstelle, die viele starke Jülicherinnen vor zwanzig Jahren für Kirsten Müller-Lehnen erstritten haben. Und die Frauenberatungsstelle – sie gehört einfach zum Lebensstandard einer Stadt dazu.
Irene Fröhlich: Ebenso wie der Verein der „Kleinen Hände“ oder der Sozialdienst katholischer Frauen, das Frauennetzwerk und natürlich der Kunsthandwerkerinnen-Markt…
Brigitte Habig: … den auch Katarina Esser ins Leben gerufen hat und der bisher der einzigartig in Deutschland ist.
Irene Fröhlich: Wir haben auch eine beachtliche Zahl an „prominenten Frauen“ in guten Positionen, etwa Dorothee Esser als Geschäftsführerin des Brückenkopf-Parks, Doris Vogel, gerade neu eingesetzt als Leiterin des Sozialamtes, die Dekanin der Fachhochschule in Jülich, Angelika Merschenz-Quack. Eine Frau an der Spitze ist heute einfach selbstverständlicher. Das gilt auch für Frauen in Männerberufen: Karin Latour, Mutter mehrerer Kinder, als Pfarrerin ist schon eine Selbstverständlichkeit und Elena Sibirtseva leitete den Männerchor des Forschungszentrums…
Brigitte Habig: Das alles nimmt nicht weg, dass es nur ein kleiner Prozentsatz von Frauen ist, der an der Spitze steht.
Irene Fröhlich: Aber die Akzeptanz ist größer geworden. Ich sehe das bei mir als Ortsverbandsvorsitzende der CDU für die drei Dörfer im Jülicher Süden. Sie lassen mich so sein, wie ich bin.
Brigitte Habig: Da stellt sich die Frage, ob es nicht von den einzelnen Personen abhängt? Es sind hauptsächlich Ehrenämter, in denen Frauen an der Spitze stehen – weil sie schlechter nein sagen können. Auch wenn klar ist, dass die Kompetenzen, die hier erworben werden, unbezahlbar sind.
Ein ganz wichtiger Punkt ist die das Selbstverständnis der Frauen.
Brigitte Habig: Die Frauenbewegung hat sexuelle Gewalt gegen Frauen und Mädchen offen gelegt. Als in Belgien der Kinderschänder Dutroux gefasst wurde hieß es immer noch „aber so was gibt es doch nicht in Jülich…“. Hier hat sich etwas verändert. Wichtig ist Frauen, dass sie auf jeden Fall berufstätig sind und etwas lernen. Heute werden unterschiedliche Lebensentwürfe akzeptiert: Eine Frau muss nicht mehr heiraten, wenn sie mit einem Mann zusammenleben möchte und Kinder haben. Trotzdem ist eine Lehrerin mit Kind immer eine berufstätige Mutter, ein Mann aber nie ein berufstätiger Vater.
Irene Fröhlich: Darum setzen wir von der Frauenunion uns dafür ein, dass man die Kindergartenbeiträge erlässt – und dass die Öffnungszeiten viel flexibler gestaltet werden. Es fehlt an Ganztagsbetreuungen in Schulen und zwar in allen Schulformen. Es geht alles viel zu langsam. Frankreich macht uns vor, wie es gehen kann.
Brigitte Habig: Das schlimmste Versäumnis der Frauenbewegung ist, dass sie kein Modell für das Zusammenleben von Mann und Frau entwickelt hat Der Haken daran ist die Liebe, sie ist die Schwachstelle der Frauenbewegung.
Irene Fröhlich: Für mich als konservative Frau ist der Wert von Ehe wichtig: Zielgerichtet etwas gemeinsam zu gestalten, Kinder zu haben und sie zu erziehen. Wir müssen Strukturen schaffen, die das ermöglichen.
Wie stehen Sie zur Quotenfrau?
Irene Fröhlich: Seit der Gründung der Frauendiskussion diskutieren wir die ungeliebte Quote.
Brigitte Habig: Ich finde sie absolut notwendig. Erst wenn Gleichberechtigung in der Wirklichkeit angekommen ist, wird sie unnötig.
Irene Fröhlich: Ich glaube, dass wir uns mehr auf unsere Stärken besinnen müssen: Frauen können besser organisieren, sich besser und schneller einarbeiten und sind risikobereiter. Darin liegt eine Chance. Und wir müssen uns unbedingt weiter vernetzen. Ein Thema für die Frauenbewegung in der Zukunft werden vor allem die Integration von Migrantinnen sein.
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