5. Jülicher Stadtgespräch

Von Schulden und dem Willen zu Großprojekten
Von Dorothée Schenk [04.05.2010, 18.58 Uhr]

Keine Kultur ist auch keine Lösung: Die Schließung der Stadtbücherei, des Museums und der Musikschule würde die Finanzsituation der Stadt nicht verbessern. Foto: Stadtbücherei

Keine Kultur ist auch keine Lösung: Die Schließung der Stadtbücherei, des Museums und der Musikschule würde die Finanzsituation der Stadt nicht verbessern. Foto: Stadtbücherei

Heiße Eisen fassten eingeladene Fachleute und Politiker beim 5. Jülicher Stadtgespräch zum Thema „Mittelmaß oder Mittelzentrum“ an. Die Erkenntnisse: Jülich steht vor einem Schuldenberg von 126 Millionen Euro, von dem auch dann nur die Spitze bricht, streicht die Stadt alle freiwilligen Leistungen. Dennoch soll das Großprojekt „Schwimmleistungszentrum“ im Sommer 2010 endlich in die Ausschreibung gehen – obwohl die Stadtwerke Jülich in Person des Geschäftsführers Ulf Kamburg, die das Haus betreiben sollen, das Vorhaben ablehnen. Schließlich haben offenbar Caritasverband Düren-Jülich und Kreis Düren für das Krankenhaus Jülich einen gemeinsamen Nenner gefunden.

Für eine Krisensitzung war die Stimmung im dicht besetzten Jülicher Cortes recht heiter.
Rund zweieinhalb Stunden hielten die Interessierten, die am ersten grillfähigen Wochentag der Einladung des Vereins Stadtmarketing Jülich und der Tageszeitung gefolgt waren, aus und kommentierten zum Teil schweigend staunend oder angeregt murmelnd die Verlautbarungen der eingeladenen Experten, der Podiumsrunde mit Erich Gussen, Vorsitzender des Ausschusses für Planen, Umwelt und Bauen, Bürgermeister Heinrich Stommel und Landrat Wolfgang Spelthahn sowie den Ausführungen der Parteichefs aller Fraktionen. Die Resonanz zeigte, dass das 5. Stadtgespräch sich am Puls des Bürgerinteresses befand.

Finanzsituation der Stadt

Im Nachklang zur Frage, welche Funktionen die Stadt Jülich einerseits braucht, andererseits aber auch bezahlen kann, stellte zunächst Kämmerer Andreas Prömpers die Finanzsituation der Stadt vor. Nachdem man im Vorjahr noch von einem Defizit von 8 Millionen Euro ausgegangen war liegt der Fehlbetrag heute bei 24,5 Millionen Euro. Das hat nichts mit missgeleiteten Erwartungen von Politik und Verwaltung zu tun, wie schnell klar wurde, sondern mit „dramatischen Einflüssen der Weltwirtschafts- und Konjunkturkrise und dem Zusammentreffen weiterer Forderungen an die Kommunen durch Land und Kreis.

Die Gewerbesteuer liegt bei den Einnahmen 3,1 Millionen Euro unter dem erwarteten Soll, die Kreisumlage ist eingebrochen und gleichzeitig die Jugendhilfe explodiert. Das Einkommen liegt bei 10,5 statt erwarteter 13,5 Millionen Euro. Durch das Haushaltssicherungskonzept schlagen weitere 21 Millionen Euro auf der Soll-Seite zu Buche, hinzu kommen 50 Millionen Euro an Kassenkrediten – für den Normalbürger wären das Überziehungskredite. Die freiwilligen Ausgaben nehmen sich mit 3,3 Millionen Euro fast bescheiden aus.

Summasumarum steht die Stadt Jülich mit 126 Millionen Euro in der Kreide.
Dem gegenüber stehen – nach Abzug aller Verbindlichkeiten – 140 Millionen Euro als Aktiva. Darunter versteht der Verwaltungsfachmann die stadteigenen Vermögenswerte in Immobilien und beispielsweise Kanalsystemen, Leitungen etc. Das heißt die Vermögenswerte sind im Grunde nicht veräußerbar und darum keine klingende Münze wert.

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Die Stadtwerke gehören zu den "Aktiva" der Stadt Jülich. Foto: Homepage Stadtwerke Jülich

Die Stadtwerke gehören zu den "Aktiva" der Stadt Jülich. Foto: Homepage Stadtwerke Jülich

as ist eine Situation, stellte Bürgermeister Heinrich Stommel klar, die nicht nur Jülich betrifft sondern die allgemeine Lage widerspiegelt. „Selbst wenn wir alles Personal entlassen, alle freiwilligen Leistungen streichen würden, wären wir noch nicht von den Schulden herunter“, stellt er klar. Das heißt, selbst wenn Musikschule, Museum und Stadtbücherei geschlossen würden, wäre keine Sanierung des Haushaltes möglich, weil die Einsparungen angesichts des gewaltigen Schuldenberges zu gering sind. Stommel betont: „Für das, was wir leisten müssen, müssen wir auch finanziell ausgestattet werden.“ Strukturelle Veränderungen der Städte und Gemeinden seien vonnöten.

Bestätigung fand der Jülicher Bürgermeister durch Dürens Landrat Wolfgang Spelthahn. Der Kreis selbst verfügt über keine Einnahmen. Er finanziert sich durch Gebühren und Umlagen, die er von Städten und Gemeinden einnimmt. Die Unterfinanzierung komme durch die Aufwendungen für soziale Zwecke. Vor 20 Jahren, so erklärt Spelthahn, wären 32 Prozent der Einnahmen in soziale Zwecke geflossen. Heute seien es 75,8 Prozent die für die staatliche Daseinsfürsorge aufgebracht werden müssten. 220 Kinder leben derzeit in Betreuungen die 180 Euro pro Tag kostet, also fast 40.000 Euro jeden Monat. „90 Prozent aller bundesdeutschen Kommunen sind am Ende“, malte der Landrat ein düsteres Bild. „Perspektivisch fehlen Einnahmen.“ Aus Sicht der Berliner Politik sei man reich, weil die Vermögenswerte das Defizit übersteige und verdeutlichte markig: „Ich kann Sozialhilfe aber nicht mit der Burg Nideggen verrechnen.“

Die Lösung, so CDU-Fraktionschef Peter Capellmann, können lediglich durch höhere Steuereinnahmen gefunden werden. Mehr Steuerzahler müssten nach Jülich gezogen werden. Zuzüge von Familien würden nur erfolgen, wenn die Infrastruktur gut sei: Kultur, Kinderbetreuung, Musikschule und Schwimmbad nannte Capellmann als Stichwort. „Stadtmarketing heißt mit den Pfunden wuchern.“

Eine kommunale Neugliederung sieht Heinz Frey (JÜL) als Lösungsansatz. „Kleine Kommunen sind nicht lebensfähig, wenn sich von oben nichts ändert.“

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