Deutschland als pädagogisches Entwicklungsland

Gefühl der Machtlosigkeit
Von Dorothée Schenk [14.05.2005, 21.22 Uhr]

Die Ganztagsgrundschule ist per se nicht zu verteufeln. Alle Eltern, die hier empört die Stimme heben „die Kleinen sind den ganzen Tag in der Schule eingesperrt“ mögen sich in Erinnerung rufen, dass bereits die 3- bis 6-Jährigen bis 16.30 Uhr im Kindergarten bleiben. Das sogar oft mit Begeisterung.
Zu kritisieren bleibt das Konzept und die Kurzsichtigkeit des Systems. Zu viele Fragen sind immer noch ungeklärt. Was passiert mit den Hortkindern, vor allem jenen über 9 bzw. 10 Jahren? Eine Einbindung des qualifizierten Hort-Personals ist nicht garantiert. Arbeitsplätze sind hier in Gefahr. Nicht nur die der Erzieher, auch jene von Eltern, die darauf angewiesen sind, dass ihre Kinder bis zum Ende des Arbeitstages betreut sind – der liegt meist später als 16 Uhr. Hier endet nämlich die garantierte Betreuungszeit einer offenen Ganztagsgrundschule. Da tröstet auch Herrn Kievens Hinweis „jede Schule muss das individuell abstimmen“ nicht. Denn: Findet die längere Öffnungszeit keine Mehrheit, steht die Minderheit auf der Straße.

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Letztlich geht es um die Finanzierung. Maximal 100 Euro, so heißt es, sollen berappt werden. Das stimmt so nicht. Hinzu kommt das Kostgeld und, wenn das Kind nicht verwahrt werden soll, Gebühren für Kurse. Eine Gleichbehandlung, oder die beschrieene Förderung von besonders Begabten oder besonders Benachteiligten kann hier gar nicht stattfinden.

Das berufene Ehrenamt verschafft finanziell Luft, ist aber eine unsichere Sache. Wer schließt Lücken, wenn Kursleiter erkranken, die Engagierten merken, dass sie einer Gruppe von Kindern verschiedener sozialer Herkunft und verschiedenen Alters doch nicht gewachsen sind? Ein sozialer Träger ist gut, aber letztlich bleibt die Frage eines Betroffenen bestehen: Wer garantiert, dass es nicht bloß eine Verwahraktion wird, statt der bisher qualifizierten Betreuung der Kinder in Horten. Auf dem Rücken der Kinderwird letztlich dieses Experiment Offene Ganztagsgrundschule ausgetragen. Das gilt übrigens auch für die Flexible Schuleingangsphase, die im kommenden Schuljahr startet.

Das dumpfe Gefühl, das zurückbleibt, ist das der Machtlosigkeit. Sicher versuchen alle – Lehrer und Eltern – das Beste daraus zu machen. Wohl wissend aber, und das ist nicht schön zu reden, dass wir viel an gewonnen Standarts, an Qualität einbüßen. Schauen wir ruhig über den Zaun zu den europäischen Nachbarn. Die machen vor, wie Ganztagsschule wirklich geht oder eine qualifizierte Betreuung mit zwei Pädagogen für eine 18-köpfige Lerngruppe vonstatten geht.

Bei allem guten Willen ist derzeit Deutschland – und dazu gehört Jülich eben auch – ein pädagogisches Entwicklungsland.


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