Rede zur Preisverleihung, Teil 2
Von Armin Laschet

In dem perfekt organisierten Unterdrückungs¬apparat hätte jede Verweigerung, jedes abweichende Verhalten sofort zu entsprechenden, in der Regel zu tödlichen Konsequenzen geführt.
Tatsächlich ist richtig: Es hat viele Opfer unter denen gegeben, die Widerstand leisteten.
Aber wir wissen auch, dass entschlossenes Handeln, ja manchmal sogar öffentliches Eintreten für das Leben der Verfolgten durchaus nicht immer zu Sanktionen oder gar zur Todes¬strafe führen mussten.

Oskar Schindler ist ein Muster dafür, dass couragiertes Handeln durchaus erfolgreich sein konnte. Ihm hat Steven Spielberg mit dem Film „Schindlers Liste“ ein Denkmal gesetzt.

Ein anderes, besonders beeindruckendes Beispiel sind die Proteste in der Berliner Rosenstraße: Im März 1943, nachdem die meisten Berliner Juden in den Osten und damit zumeist in den sicheren Tod deportiert worden waren, wurden auch die jüdischen Männer, die mit nichtjüdischen Frauen verheiratet waren, verhaftet.

Die Frauen der Festgenommenen trotzten Gestapo und SS und versammelten sich zu Hunderten vor dem Gebäude in der Rosenstraße, in dem ihre Männer -1.700 an der Zahl -gefangen gehalten wurden.

Die tagelangen Proteste unter den Augen schwer bewaffneter SS-Männer hatten Erfolg. Die Maschinengewehre wurden abgeräumt. Die meisten Frauen bekamen ihre Männer frei. Viele haben überlebt. Das Regime war zurückgewichen.

Wir kennen solche Beispiele auch aus dem Rheinland und aus Westfalen:
Stellvertretend möchte ich an den Wuppertaler Polizeibeamten Paul Kreber erinnern. Er hat Sinti-Familien geholfen, sich den Deportationen zu entziehen. Der überwiegende Teil der Familien und Kreber selbst haben überlebt.

Und ich nenne Clemens August Kardinal Graf von Galen, der als Bischof von Münster in seinen Predigten und seiner Haltung für "das andere Deutschland" stand. (Er wurde am 9. Oktober 2005 wurde er seliggesprochen).

Das sind einzelne Beispiele von Mut und Zivilcourage, die belegen, dass es auch unter totalitären Bedingungen Handlungsspielräume gegeben hat, dass Widerstand möglich war.

Natürlich: Unter den Bedingungen des Dritten Reichs war jeder Widerstand mit hohen Risiken für Leib und Leben verbunden. Aber er fand statt.

Ich erwähne das, weil es um der Wahrheit Willen erwähnt werden muss, nicht, weil wir uns moralisch erheben könnten über die Menschen, die die Nazi-Zeit durchlebt und durchlitten haben und dieses Risiko nicht eingegangen sind.

Denn niemand von uns Jüngeren kann mit Bestimmtheit sagen, wie wir uns in einer entsprechenden Situation verhalten hätten.

Werbung

Wir können lediglich die große Leistung derjenigen würdigen, die sich in existenziellen Entscheidungssituationen für den Schutz der Menschenwürde entschieden haben, die ganz spontan geholfen haben -oder sich spontan verweigerten.

Und wir können dafür dankbar sein, dass uns eine solche Probe unseres Charakters, eine Probe auf Leben und Tod, heute erspart bleibt.

In einer funktionierenden Demokratie ist Zivil-
courage keine Frage auf Leben und Tod.

Aber auch in der Demokratie bedeutet Zivilcourage, dass man bereit ist, für die Menschenwürde einzutreten und dafür unter Umständen auch Nachteile in Kauf zu nehmen.
Wir erleben das aktuell bei zwei wichtigen Themen:
Bei der Debatte um das Kindeswohl.
Und bei der Debatte um die Gewalt in unserer Gesellschaft.
Die Bundeskanzlerin hat zu Recht eine Kultur des Hinsehens angemahnt.
Die brauchen wir, wenn es darum geht, Kindern zu helfen, denen in den eigenen Familien Leid angetan wird.

Wer nachfragt, wenn ein Nachbarskind ständig weint, der setzt sich dem Risiko aus, eine gute oder zumindest bequeme Nachbarschaft zu beschädigen.
So eine Frage erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl. Aber dennoch ist es notwendig, die Courage aufzubringen, die Frage zu stellen, wenn die Beunruhigung zu groß wird.
Hier geht es um Werte, um Verantwortung, um eine Haltung, die eben nicht sagt: Was hab ich damit zu tun?

Wir alle sind verantwortlich für die humane Qualität unseres Zusammenlebens, für das Klima in unserer Gesellschaft.

Und das gilt, wenn auch in modifizierter Form,
beim Thema Gewalt ebenso.

Hier muss Courage eine andere Form annehmen.
Nicht etwa der Versuch, selbst mit der Faust für Ordnung zu sorgen.
Aber doch die Courage,
• auf Signale zu achten, ob sich eine gefähr¬liche Situation zusammenbraut und man besser die Polizei benachrichtigt,
• auf Menschen zuzugehen, die Opfer von Gewalt geworden sind und Hilfe brauchen,
• die Courage, nach Möglichkeiten zu suchen, Jugendliche oder ihre Eltern anzusprechen, wenn junge Menschen erkennbar auf eine schiefe Bahn geraten,
• die Courage, allen Formen der Diskrimi¬nierung von Menschen wegen ihrer Herkunft, ihres Glaubens oder ihrer Sprache entgegenzutreten. Denn um Gewalt zu stoppen, müssen wir Diskriminierung stoppen.

weiter


Dies ist mir was wert:    |   Artikel veschicken >>  |  Leserbrief zu diesem Artikel >>

NewsletterSchlagzeilen per RSS

© Copyright