Ansprache zur Verleihung des Preises für Toleranz und Zivilcourage
Von Armin Laschet

Ich danke Ihnen für die Einladung zur Verleihung des „Preises für Toleranz und Zivilcourage“.
Ihnen, Frau Barkhoff-Freeling, meinen herzlichen Glückwünsch zu dieser Auszeichnung.
Mit Ihrem Engagement haben Sie gezeigt, wie mit Professionalität, Mut und Mitmenschlichkeit Künstler aus anderen Kulturkreisen bei uns heimisch werden können -und wie sie dabei zur kulturellen Bereicherung hierzulande beitragen.

Die „Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für Toleranz“ verleiht diesen Preis heute zum dritten Mal. An einem Tag, an dem wir der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 gedenken.

Sie greift damit einen Vorschlag des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog auf. 1996 hat Roman Herzog dieses Datum als „Gedenktag für die Opfer nationalsozialistischer Gewaltherr¬schaft“ vorgeschlagen. Den Tag – wenige Monate vor dem Ende des 2. Weltkrieges – als sowjetische Truppen das Vernichtungslager Auschwitz befreit haben.

27. Januar "Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus"
Auschwitz steht für ein Menschheitsverbrechen bis dahin unbekannten Ausmaßes:
• Auschwitz steht für den Holocaust, für die mit
industriellen Methoden betriebene Vernich-
tung der europäischen Juden.

• Auschwitz steht für die Verfolgung und
Ermordung der Sinti und Roma.

• Es steht für die Verbrechen an Polen. Russen und anderen nach der Nazi-Ideologie als rassisch minderwertig angesehenen Völkern des europäischen Osten.
• Es steht für die Verfolgung und Ermordung Andersdenkender.
• Es steht für die Ermordung von Menschen, die man für andersartig und daher für nicht lebenswert erklärt hatte.

Auschwitz ist weltweit zu einem Symbol dessen geworden, was Menschen Menschen an Schrecklichem zufügen können.

Die Aufgabe eines solchen Gedenktages liegt nach meiner Überzeugung auch, die Erinnerung wirklich lebendig zu halten.

Denn vom Symbol zur Abstraktion ist der Weg zuweilen nicht weit. Die Aufgabe eines solchen Gedenktages liegt auch darin, sich immer wieder der Mühe der Frage zu unterziehen: Wie war so etwas möglich?

Raul Hilberg, der Historiker, der als erster die Vernichtung der europäischen Juden aufgearbeitet hat, vertritt die These, dass ein weitgehend repräsentativer Querschnitt der Deutschen direkt und indirekt am Holocaust beteiligt gewesen sei.

Werbung

Dass der Holocaust nicht denkbar gewesen wäre, wenn nicht ein Großteil der deutschen Gesellschaft so funktioniert hätte, wie es das Regime erwartete.
"Ganz normale Männer" ist der Titel des Buches von Christopher Browning, in dem er 1992 das Innenleben der Mordkommandos in den Polizeibataillonen dargestellt hat.

Dort dienten Männer mittleren Alters, aus mittelständischen Berufen, ungelernte Arbeiter, Selbständige, Akademiker, Familienväter. Gerade in dieser "Normalität" liegt das so tief Erschreckende.

Es waren eben nicht viele damals, die den Mut hatten, sich zu widersetzen und den Verfolgten zu helfen. Ihre Taten, ihr Einsatz geben uns heute um so beeindruckendere Beispiele für die Achtung vor der Menschenwürde, auch unter mörderischen Bedingungen.

Inzwischen wissen wir mehr über die couragierten Helferinnen und Helfer, die jüdischen Bürgern und anderen Verfolgten zur Seite standen. Lange Zeit aber hat sich die Geschichtsforschung wenig um ihr Schicksal gekümmert.

Man kann durchaus die Frage stellen, warum dieses Kapitel der jüngeren deutschen Geschichte so lange im Hintergrund geblieben ist.

Könnte ein Grund sein, dass das Handeln der Helfer und derjenigen, die sich dem Regime verweigert haben, im Grunde eine stille Provo¬kation für einen großen Teil der deutschen Gesellschaft war?

Könnte es nicht so sein, dass ihr mutiges Handeln zu sehr die bequemen Muster in Frage stellte, mit denen eine große Mehrheit -und erst recht die vielen Täter -ihr Verhalten während der Naziherrschaft rechtfertigten?

Ein Erklärungsmuster, das lange herhalten musste für Wegschauen und Mitmachen, war der so genannte Befehlsnotstand.

Befehlsnotstand – das sollte zum Ausdruck bringen, dass an der Spitze des Regimes einige teuflische Verbrecher die Anweisungen gaben und alle anderen die Befehle auszuführen hatten.

weiter


Dies ist mir was wert:    |   Artikel veschicken >>  |  Leserbrief zu diesem Artikel >>

NewsletterSchlagzeilen per RSS

© Copyright