Deutschland als Rettung, Jülich als neue Heimat

Für Ahmadou Bil ist die Flucht erstmal zu Ende
Von Dorothée Schenk [20.12.2006, 12.55 Uhr]

Von der Elfenbeinküste kam Ahmadou Bil nach Deutschland.

Von der Elfenbeinküste kam Ahmadou Bil nach Deutschland.

Es sind biblische Zustände – diese, in denen es um Vertreibung, Krieg und Flucht geht. Vergleichbar mit der Geschichte von Joseph, der von Sklavenhändlern mit nach Ägypten genommen wird, und so dem Tod entgeht. Aus den politischen Unruhen der Elfenbeinküste beginnt im Jahr 2002 die Flucht von Ahmadou Bil . Er ist 16 Jahre alt. Sein Vater ist Soldat. Gemeinsam werden die Eltern beim Ausbruch des Bürgerkrieges gefangen genommen und getötet. Andere Verwandte gibt es nicht mehr– nur den Schwager seiner verstorbenen Schwester. Er nimmt sich des schutzlosen Jungen an und schickt ihn auf die Reise ins Unbekannte.

Bis zu diesem Zeitpunkt war das Leben des Jungen Ahmadou Bil fröhlich und unbeschwert. Mit glänzenden Augen erzählt er: „Wir haben viel Party gemacht, Fußball gespielt…“ und er verrät: „Ich wollte gerne Profispieler werden.“ Inzwischen kickt der mittlerweile 20-jährige wieder: Bei Jülich 10 ist er Spielmacher der B-Jugend. Von der Elfenbeinküste geblieben sind ihm die Erinnerungen und ein Koffer mit Kleidung, ein paar Fotos und ein Impfpass. Damit war er per Schiff über das Meer gekommen. Wohin, das wusste der 16-jährige gar nicht. Völlig in die Hände eines unbekannte Weißen gegeben, landete er in einem Hafen in Deutschland, wie er später erfuhr.

Und wieder Fremde: Ahmadobils Begleiter verabschiedete sich, es kam ein Schwarzer, der ihn zur Antragsaufnahme begleitete. Am 7. Januar 2003 stellte Ahmadou Bil den Asylantrag. Zwei bis drei Wochen lebte der Ivorer auf einem Schiff im Kölner Hafen, ehe er über das Aufnahmelager in Hemer nach Linnich geschickt wurde. Das Ende einer Odyssee, aber nicht des Leids.

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Das Land Elfenbeinküste ist vom Bürgerkrieg geschüttelt. Eine Schulbildung erhalten Kinder nur in eingeschränktem Maße. Foto: www.gew.de/Elfenbeinkueste.htm

Das Land Elfenbeinküste ist vom Bürgerkrieg geschüttelt. Eine Schulbildung erhalten Kinder nur in eingeschränktem Maße. Foto: www.gew.de/Elfenbeinkueste.htm

Erst der Kontakt zu Heike Winzenried bei der Flüchtlingsberatungsstelle des Diakonischen Werkes wendete das Blatt. „Der Rat, eine Schule zu besuchen, hat mir sehr geholfen“, sagt Ahmadou Bil . Er ging nach Hamminkeln, lernte in der Akademie Klausenhof nicht nur Deutsch und Englisch, sondern auch wieder ein Stück Normalität. Hier konnte er Sport treiben, Gleichaltrige als Freunde gewinnen, in die Disko gehen und sogar ein Stück weit vergessen, dass er vielleicht nicht in Deutschland würde bleiben können. Ein großes Stück Sicherheit gab ihm auch Ulla Buck, sein Vormund. Bei ihr fand er nicht nur „Amtshilfe“, sondern auch Familie – etwa das Weihnachtsfest unterm Tannenbaum bei Kerzenschein und mit Geschenken.

Er hat schnell gelernt: Dass die Menschen in Deutschland freundlich, aber nicht so aufgeschlossen sind wie an der Elfenbeinküste; dass in diesem Land mehr jeder für sich ist und isst. In seiner Heimat leben die Familien unter einem Dach und essen als Zeichen der Verbundenheit aus einem Teller. Die Ivorer mögen Partys und teilen gerne das wenige, das sie haben. Dafür hat man in Deutschland „die Möglichkeit zu lernen, wie man mit dem Leben umgeht“, ist die Erkenntnis von Ahmadou Bil . Den Hauptschulabschluss in der Tasche lässt er sich derzeit im Berufskolleg in Krankenpflege, Familienpflege und Hauswirtschaft ausbilden. Nicht unbedingt sein Traumberuf, aber es ist eine gute Möglichkeit zu arbeiten.

Die Sicherheit hat Ahmadou Bil zumindest für die kommenden zwei Jahre: Seit September ist er stolzer Besitzer eines „kleinen Asyls“, dass ihm bisher ungekannte Freizügigkeit gewährt. So lange durfte er sich nämlich nur im Regierungsbezirk Köln bewegen und etwa Freunde in Düsseldorf oder Duisburg nicht besuchen. Außerdem hat er eine Arbeitserlaubnis. Ein erstes Praktikum im Haus Berg in Brachelen ist absolviert. Eine Rückkehr an die Elfenbeinküste kann sich Ahmadou Bil nicht vorstellen, auch nicht, wenn die politischen Unruhen beigelegt würden. „Deutschland ist für mich wie eine Rettung. Es ist meine zweite Heimat.“

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