10 Jahre ambulanter Hospizdienst in Jülich: Ein Interview mit Korrdinatorin Dagmar Amthor

Den Sterbenden Geborgenheit anbieten
Von Dorothée Schenk [21.10.2005, 19.21 Uhr]

Ganz abgebaut ist die Schwellenangst nicht, aber langsam fallen die Barrieren. Seit zehn Jahren gibt es den ambulanten Hospizdienst im Malteser Krankenhaus in Jülich. Dennoch: Das Sterben bleibt ein Tabu in unserer Gesellschaft. Die Arbeit des Ambulanten Malteser Hospizdienstes in Jülich schildert Dagmar Amthor, Koordinatorin des Hospizdienstes.

MIt Gelassenheit dem sterbenden Menschen begegnen: Dagmar Amthor.

MIt Gelassenheit dem sterbenden Menschen begegnen: Dagmar Amthor.

Sterbebegleitung - welche Menschen nehmen sie in Anspruch?

Dagmar Amthor: Ich sage nicht gerne Sterbebegleitung - es ist eine Lebensbegleitung. Wir betreuen eine ganz gemischte Klientel zwischen 23 und 90 Jahren. Entscheidend ist, dass die Betroffenen und ihre Angehörigen in der letzten Lebensphase Unterstützung nach ihren Wünschen erhalten und nicht alleine in dieser Krisensituation bleiben. Inzwischen hat es sich herumgesprochen, das wir mehr tun, als nur in den letzten Tag die Hand zu halten. Und glücklicherweise ist auch der Gedanke weitgehend vom Tisch: Menschen, die Kontakt zum Hospizdienst aufnehmen, innerhalb kürzester Zeit versterben.

Wie kommt es zum ersten Kontakt? Über die bundesweite Site www.hospiz.de sind Sie ja nicht verlinkt.

Amthor: Über die Jahre ist unser Angebot regional bekannt durch Öffentlichkeitsarbeit, Informationsbroschüren, Vorträgen und auf Empfehlung. Mittlerweile arbeiten Marie-Theres Reichert und ich seit zehn Jahren für den Hospizdienst in Jülich. Vermehrt nehmen die Erkrankten selbst mit uns Kontakt auf. Aber auch Angehörige und inzwischen sogar Ärzte wenden sich an uns und vermitteln die Schwerkranken. Über das Internet sind wir zusätzlich erreichbar und zwar über die Jülicher Stadtseite und unter www.malteser-krankenhaus-juelich.de.

Wie finanziert sich das?

Amthor: Wir werden vom Malteser-Krankenhaus Jülich unterstützt, erhalten als Koordinatoren eine minimale Teilfinanzierung von den Krankenkassen und durch Spenden. Die Motivation für die Malteser war, dass sie Mitbegründer der ersten Hospize waren. Im Sinne "Zurück zu den Wurzeln" und im Zuge der Umstrukturierung des Gesundheitswesens treten heute Lücken auf, die nach dem christlichen Ansatz des Trägers geschlossen werden sollten. Also: Auch die Phase des Lebens sollte in den Blick genommen werden, die bei den aufbrechenden Familienverbänden auf der Strecke bleiben. Es sollte ein Rahmen geschaffen werden, in dem diese Menschen mit ihren Sorgen und Nöten wenigstens eine Zeitlang aufgefangen werden.

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Viel Arbeit hat Dagmar Amthor im Malteser Krankenhaus beim Ambulanten Hospizdienst und lässt sich hier auch von Pfarrer Josef Jansen unterstützen.

Viel Arbeit hat Dagmar Amthor im Malteser Krankenhaus beim Ambulanten Hospizdienst und lässt sich hier auch von Pfarrer Josef Jansen unterstützen.

Wie sieht die Arbeit aus?

Amthor: Wir bieten kostenlose, bürgernahe Information, Beratung und psycho-soziale Begleitung im Altkreis Jülich an. Beim Erstkontakt wird ein Termin vereinbart für ein Gespräch, meist bei dem Betroffenen zu Hause. Wir lernen gerne das private Umfeld kennen. Wünsche und Bedürfnisse werden gemeinsam erarbeitet. Es wird geklärt, ob eine ambulante Betreuung überhaupt in Frage kommt. Wir können keine 24-Stunden-Betreuung leisten.

Der Ehrenamtler, der die Betreuung übernimmt, hat in der Regel vier Stunden in der Woche Zeit für den Menschen. Der Begleiter wird individuell ausgewählt, abgestimmt auf Bedürfnisse, Wünsche und Gemeinsamkeiten wie Hobbys und Interessensgebiete Es soll eine Beziehung aufgebaut werden. Das geht natürlich nur, wenn man eine Zeit lang miteinander geht und Höhen und Tiefen gemeinsam durchlebt.

Das wichtigste ist Zeit und Ehrlichkeit: Wir möchten für den Betroffen einen geschützten Rahmen bieten, in dem er nicht eine "Rolle" - als starker Vater, verständnisvolle Mutter oder was auch immer - spielen muss, sondern er selbst sein darf. Es geht darum, mit den Menschen zu lachen, zu weinen oder auch einfach mal schimpfen zu können. Das spiegelt auch das Wort Palladium, Mantel, ummanteln, und übertragen ein Zuhause bringen, anbieten, da zu sein.

Und das geschieht bei den Menschen zu Hause?

Amthor: Nicht nur. Ambulant ist überall da, wo sich der Patient zu Hause fühlt. Das kann auch eine Parkbank sein. Wir hatten auch schon Obdachlose, die wir betreut haben. Es gibt aber auch Menschen, die habe ich noch nie gesehen, die nur eine telefonische Betreuung in Anspruch nehmen.

Das wichtigste "Instrument" in der Hospizarbeit ist also die Sprache?

Amthor: Die offene Kommunikation ist das wichtigste. Heutzutage ist in der digitalen Welt die Sprache weitgehend verloren gegangen. Viele Menschen verstehen Metaphern gar nicht mehr. Wenn mir ein Betroffener im Sommer sagt: "Es ist so kalt und dunkel", muss ich ihn nicht als verwirrt abtun. Es kann auf seiner Lebensgeschichte begründet nur eine hintergründige Art sein zu sagen: Ich fühle mich nicht wohl oder ich habe Angst. Natürlich muss man nicht in jedes Wort etwas hineindeuten.

Unsere Mitarbeiter werden ein Jahr lang qualifiziert, um ein Gespür zu entwickeln oder zu verfeinern, angemessen zu reagieren. Derzeit sind neun Teilnehmer im Vorbereitungs-Kurs und 28 ehrenamtliche Mitarbeiter aktiv im Ambulanten Hospizdienst tätig. Neben der Erweiterung ihrer Praxiskenntnisse in Palliativ-Care, der Gesprächsführung und der Trauerbegleitung beschäftigen sie sich vor allem aber mit der eigenen Motivation und Selbstreflektion. Warum möchte ich Schwerkranke und Sterbende begleiten? Menschen mit ausgeprägten Helfersyndrom oder solche, die persönliche Erlebnisse über diese Arbeit bewältigen möchten, sind nicht geeignet. Der Betroffene steht im Vordergrund.

Leben mit dem Tod ist wie jeden Tag ein bisschen sterben oder sich täglich seines Lebens mehr bewusst sein?

Amthor: Bei meinem ersten Vortrag über Hospizarbeit eröffnete der Referent seine Rede mit "Liebe Sterbende" - da haben viele erstmal nach Luft geschnappt. Tatsächlich ist es so, dass geboren werden und sterben sich sehr ähnelt: Wir wissen nicht, wohin wir kommen, wenn wir geboren werden, und wissen nicht, wohin wir gehen, wenn wir sterben.

Sterben hat ganz viel mit Leben zu tun: In uns sterben täglich Zellen. Das ist notwendig, sonst bekommen wir Krebs. Krebs heißt für Zellen nicht sterben können. Wenn ich weiß, dass ich sterblich bin, dann bekommt man den Blick für die kleinen wunderbaren Dinge des Lebens. Schwerkranke und Sterbende zu begleiten kann ich nicht lernen, ich brauche dazu eine bestimmte Haltung und Achtung vor dem Leben. Und ich muss die Unverfügbarkeit jedes Einzeln respektieren.

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