Das Phänomen Schweizer Siedlung
Von Redaktion

Man muss sich ihre lange und wechselvolle Geschichte ins Gedächtnis rufen, will man die Entwicklung der Schweizer Siedlung verstehen. Bereits nach dem ersten Weltkrieg war die Stadt Jülich ein „Brennpunkt des Wohnraumbedarfs“.

Die totale Zerstörung am 16. November 1944 wirkte sich hier deshalb noch verheerender aus als in anderen Städten. Anfang 1946 spendete die Schweiz deshalb 24 Wohnbaracken mit je 4 Kleinstwohnungen, die an der Alten Dürener Straße errichtet wurden. 1947 kamen weitere 15 Baracken hinzu. Sie fanden Platz an der nahen Lohfeldstraße. Die einfache Ausstattung der winzigen Zweizimmer-Wohnungen übernahm das Schweizerische Rote Kreuz. In den Jahren 1956 – 1959 ersetzte die Stadt die Holzbaracken an der Alten Dürener Straße durch Schlichtwohnungen und quartierte auch die verbliebenen Einwohner der Lohfeldstraße dort ein.

Nach der Mietpreisfreigabe am 1. November 1963 wurde das Wohnungsamt der Stadt aufgelöst und die Wohnraumbewirtschaftung beendet, obwohl noch 648 Anträge von Wohnungssuchenden vorlagen. Wer irgendwie konnte verließ dennoch die Schweizer Siedlung. Zurück blieben Haushalte in wirtschaftlich schlechten Verhältnissen, kinderreiche Familien, durch Krisen anfällig gewordene Teilfamilien. Neue Obdachlose wurden von der Stadt eingewiesen, ebenso Angehörige ethnischer Minderheiten.

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Das zunächst wie eine Gartenkolonie anmutende Wohngebiet, das „Schweizer Dorf“, wurde tiefgreifenden Veränderungen unterworfen. Die Konzentration von Haushalten mit einer Vielzahl von sozialen und wirtschaftlichen Problemen aus unterschiedlichen Kulturen führte im Zusammenwirken mit Arbeitslosigkeit, primitiven Wohnverhältnissen und Überbelegung zwangsläufig zu z. T. heftigen Konflikten, die zur Stigmatisierung des gesamten Wohngebiets und zur Diskriminierung aller seiner Bewohner führten.

In dem 1982 von der Soziologin Kirsten Müller-Lehnen erstellten Sozialplan für die Stadt Jülich „Menschen mit besonderen sozialen Problemen – Schweizer Siedlung“ wurden auch die äußerst schlechten Wohnverhältnisse und die daraus resultierenden Probleme des Zusammenlebens thematisiert. Am baulichen Zustand der Häuser änderte sich nichts, allerdings gab es enorme Verbesserungen im sozialen Bereich. Aus dem ursprünglich spannungsgeladenen Zusammenleben wurde - auch durch die jahrzehntelange Arbeit des Sozialdienstes katholischer Frauen (SKF) - und durch das große Engagement einiger Bewohner inzwischen ein vorbildliches Miteinander nach dem Motto „Einer für alle - alle für Einen“. Dennoch leiden die Menschen bis heute nicht nur unter der z. T. katastrophalen baulichen Substanz ihrer Häuser, sie sind auch weiterhin vielen Vorurteilen und den damit verbundenen Benachteiligungen ausgesetzt.

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