Doris Vogel referiert über Flüchtlinge

Jülich: Die 300er-Marke ist geknackt
Von Dorothée Schenk [18.08.2015, 15.52 Uhr]

Sozialamtsleiterin Doris Vogel ist auch für die neuankommenden Flüchtlinge zuständig.

Sozialamtsleiterin Doris Vogel ist auch für die neuankommenden Flüchtlinge zuständig.

Jährlich wählt der Rotary Club für sein soziales Engagement einen Schwerpunkt aus. Angesichts der aktuellen Situation haben sich die Jülicher Rotarier für die Unterstützung von Flüchtlingen in Jülich und Linnich ausgesprochen. Grundlagenkenntnisse vermittelte Sozialamtsleiterin Doris Vogel, die sich freute, an diesem Tag die ersten gespendeten Fahrräder für Flüchtlinge in Empfang nehmen zu können.

Das Land NRW, so erklärte es Doris Vogel, weist den einzelnen Kommunen die Flüchtlinge zu. 2000 Menschen sind es derzeit, die täglich ins Land kommen. Tendenz steigend. Die Stadt hat keinen Einfluss darauf, wann und wie viele Menschen kommen. „Eine Vorplanung ist unmöglich“, betonte sie. "Wir haben die 300er Marke geknackt." Im Juli zählte das Amt zugewiesene 37 Flüchtlinge; in den kommenden Monaten rechnet die Stadt mit monatlich 40 Neuankömmlingen. Kritisch sieht sie die so genannten sicheren Drittländer und nennt als Beispiel das Volk der Roma. Sie sind Diskriminierung ausgesetzt und können bei gewalttätigen Übergriffen nicht auf Polizeihilfe hoffen. „Die Geschichten, die diese Menschen mitbringen, sind nicht einfach zu verkraften“, erzählt die Sozialamtsleitern von den Erstbegegnungen. „80 Prozent der Menschen, die hierher kommen, sind in Notsituation und diese sollten wir nicht mit Misstrauen empfangen“, fordert sie.

Das größte Problem stellt die Unterbringung dar. Derzeit werden immer noch Wohnungen aus privater Hand angeboten. Das ist ein Glück, denn, so rechnet Doris Vogel den Rotariern vor: Ein Containersystem für 48 Bewohner wurde mit 1,2 Millionen Euro veranschlagt. Sechs Quadratmeter stehen jedem Flüchtling als Raum zu plus Nutzung einer Gemeinschaftsküche. Das heißt, dass in einer 50-Quadratmeter-Wohnung in zwei Zimmern durchaus sechs Menschen untergebracht werden könnten. Da es nicht nur Familien sind, ist hier bei der Vielfalt der Nationen ein besonders sensibler Umgang bei der gemeinsamen Unterbringung gefragt: „Wir arbeiten stark daran, dass soziale Zufriedenheit bei den Flüchtlingen herrscht“, erklärt die Sozialamtsleiterin.

Ein glückliches Händchen haben die Amtsleiterin und ihr Team offenbar dabei, denn bislang gab es zwar oft Bedenken im Vorfeld, sobald die Flüchtlinge aber eingezogen sind, gibt es keine Beschwerden oder Klagen – im Gegenteil. Das gilt auch für das Umfeld der Alten Post, in der 43 Männer und zwei Familien untergebracht sind. Viel Konkurrenz gibt es um preiswerten Wohnraum: Studenten, Doktoranden des Forschungszentrums und Hartz-IV-Empfänger drängen gemeinsam auf den Markt.

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Aufräumen konnte Doris Vogel auch mit der Mär, dass Flüchtlinge im „Luxus“ leben: Als Asylbewerber erhalten sie in den ersten 15 Monaten niedrigere Bezüge als Hartz-IV-Empfänger. Danach gelten für Flüchtlinge die gleichen Regeln wie für Hartz IV Bezieher, das heißt, von diesen Leistungen ist alles von Essen über Kleidung, Strom und „Luxusgüter“ zu bezahlen. Dazu kommt, dass sie nicht arbeiten dürfen, auch wenn viele den Wunsch haben, etwas zu tun. Erst wenn sie 15 Monate in Deutschland sind, können sie einen Arbeits-Antrag bei der Ausländerbehörde stellen unter Vorlage von Pass-Ersatzpapieren. Dieses Verfahren hat allerdings einen Pferdefuß: Wer Papier hat, kann auch leichter abgeschoben werden. Daher haben diese Menschen verständlicherweise kein Eigeninteresse daran, Passpapiere zu besorgen.

Wer nur „geduldet“ ist, muss alle drei Monate zum Ausländeramt und lebt in stetiger Angst, ausgewiesen zu werden. Einige Familien sind schon seit Jahren hier, ihre Kinder werden hier geboren und besuchen Kindergärten und Schulen, Freundschaften werden geknüpft, und die Angst bleibt. Hinzu kommt, dass Arbeitgeber Asylbewerber nicht einstellen oder ihnen Lernstellen geben, weil sie nicht wissen, wie lange diese bleiben können. „Die Unsicherheit und das Nichtstun macht psychisch krank. Es ist die Frage, ob das richtig und ein menschenwürdiges Verfahren ist.“

Es besteht die Möglichkeit über das Aylbewerberleistungsgesetz sie für gemeinnützige und zusätzliche Arbeiten einzusetzen, das heißt es werden hierdurch keine regulären Arbeiten eingespart. Viele Flüchtlinge arbeiten derzeit für 1,05 Euro. Sie werden bei der Tafel, im Brückenkopf-Park, auf den Friedhöfen oder als Aufsicht am Baggersee beschäftigt. Da ein großes zusätzliches Problem die Mobilität ist, freuen sich die Asylbewerber über die gespendeten Fahrräder. In einer eigens von ihnen selbst organisierten Werkstatt machen sie sie bei Bedarf wieder „flott“. Noch eine Besonderheit hebt Doris Vogel hervor: Das gute soziale Netzwerk „Wir helfen“: Möbel und mehr vom Christlichen Sozialwerk sorgt für Einrichtung und den Aufbau von Möbeln, Kleidung gibt es beim fairkauf und für Kinder bei den Kleinen Händen. Die Kooperationen laufen gut und sorgen zusätzlich für ein friedliches Miteinander.

Doris Vogel sagte abschließend: „Ich wünsche mir ausreichend viel Platz und unsere Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen.“


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