Ansprache zum 63. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz
Von Heinz Spelthahn

Heinz Spelthahn bei der Ansprache zum 63. Jahrestag der Befreiung Auschwitz

Heinz Spelthahn bei der Ansprache zum 63. Jahrestag der Befreiung Auschwitz

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich will mit meinem Beitrag versuchen, den „27. Januar 1945“ mit dem heutigen Tag zu verbinden. Ich hoffe, dass es mir angesichts des schwierigen Themas gelingt. Und ich bitte jetzt schon um Ihre Nachsicht. Wir haben in den Mittelpunkt des heutigen Tages die „Integration“ gestellt. Wir begehen heute den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Der Tag der Befreiung lenkt den Blick auf das, was damals 1945 und nicht nur am 27. Januar 1945 geschehen ist: Das von Staats wegen verordnete Leid, die Verfolgung und Ermordung von Abermillionen Menschen in Europa hatte ein Ende. Die Diktatur ging zu Ende. Die Freiheit bekam eine neue Chance, auch in Deutschland.

Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland hat in vorbildlicher Weise zur Diktatur der Nazis den Kontrapunkt gesetzt. Dem Grundsatz „der einzelne ist Nichts, das Volk ist alles“ setzt das Grundgesetz in Artikel 1 entgegen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“

Der juristische Kunstgriff besteht darin, dass zum einen die Menschenrechte als etwas anerkannt werden, was außerhalb des Gesetze liegt, die aber andererseits ihre Wirkung nur dadurch bekommen, dass der Staat diese Rechte als wirksam, wenn auch nicht seiner Verfügung unterliegend anerkennt. Das Grundgesetz kennt auch noch ein spezielles Religionsrecht. Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet. Und ganz konkret: Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.

Exemplarisch wird an diesen Texten deutlich, dass hier ein fortwährendes Spannungsverhältnis zwischen dem Einzelnen, auch in seiner Beziehung zu Gott, und dem Staat besteht. Dass der Staat den Einzelnen nicht in seiner ganzen Person beschlagnahmen darf. Das Grundgesetz ist geprägt von dem Respekt vor jedem einzelnen Menschen.

Dieser Respekt wird seit einigen Jahren aufs Neue auf die Probe gestellt. Eine dieser Herausforderungen ist die Welt des Islam. Es wäre verkürzt, wenn man diese Probe einseitig auf die Ereignisse vom 11. September 2001 beschränkte. Die Bekämpfung des Terrors ist das Eine, der intellektuelle Diskurs das Andere. Die wichtigere Auseinandersetzung ist aus meiner Sicht die geistige. Nur diese wird der Bedeutung des Korans und der islamischen Lehre gerecht. Da wird als erstes neben dem Respekt festzustellen sein, dass wir alle uns bemühen müssen, mehr über die anderen zu erfahren. Ich möchte dies an zwei subjektiv ausgesuchten Beispielen erläutern. Mir ist klar, dass man auch diese kontrovers diskutieren kann.

Mein erstes Beispiel: Seit dem 30. Juni 2006 verbietet ein Gesetz Lehrern die „äußerlichen Bekundungen“, die den Eindruck erwecken, unter anderem gegen die Gleichberechtigung zu sein. Gemeint war damit das Kopftuchverbot. Dies wird als Verstoß gegen die Gleichberechtigung aufgefasst. Die Landesregierung berichtete am 23. Februar 2007: „Von dem Verbot… sind derzeit insgesamt zwölf Lehrerinnen … betroffen, die ein Kopftuch tragen.“ Es kann nicht erlaubt sein, dass irgendein Lehrer an unseren Schulen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstößt. Kann man dies an äußerlichen Zeichen festzumachen versuchen? „Jeder Mann, der beim Beten… etwas auf dem Haupt hat, entweiht sein Haupt. Jede Frau aber, die mit unverhülltem Haupt betet…, entweiht ihr Haupt…Der Mann braucht nämlich das Haupt nicht zu verhüllen, weil er Bild und Abglanz Gottes ist; die Frau dagegen Abglanz des Mannes.“

Ich verdanke den Hinweis auf dieses Zitat unserer heutigen Laudatorin Frau Professor Merschenz-Quack. Und das Zitat ist nicht aus dem Koran, sondern aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Kapitel 11. Und es wird die Damen vielleicht ein wenig versöhnen, dass Paulus etwas später feststellt: „Aber alles ist aus Gott“. Werden wir deswegen jetzt die katholischen Nonnen – soweit es sie noch gibt - aus unseren Schulen verbannen, weil sie ja auch ihr Haupt verhüllen? Im Koran finden wir eine solche Stelle in dieser Deutlichkeit nicht. Sure 33, Vers 59, die vielfach zur Begründung herangezogen wird lautet: O Prophet, sag deinen Gattinnen und deinen Töchtern und den Frauen der Gläubigen, sie sollen etwas von ihrem Überwurf über sich herunter ziehen. Das bewirkt eher, dass sie als ehrbare Frauen erkannt werden und dass sie nicht belästigt werden. Gott aber ist barmherzig und bereit zu vergeben.“

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Mein zweites Beispiel: Der Vortrag von Papst Benedikt XVI. in Regensburg wurde Auslöser einer weltweiten Empörung in der islamischen Welt. In seiner Vorlesung am 12. September 2006 zitierte der Papst den Kaiser Manuel II. mit den Worten: „Zeig mir doch, was Mohammed Neues gebracht hat, und da wirst du nur Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat, den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten“. Der Papst erläutert in der amtlichen Version seines Vortrags: Dieses Zitat ist in der muslimischen Welt leider als Ausdruck meiner eigenen Position aufgefasst worden und hat so begreiflicherweise Empörung hervorgerufen. Ich hoffe, daß der Leser meines Textes sofort erkennen kann, daß dieser Satz nicht meine eigene Haltung dem Koran gegenüber ausdrückt, dem gegenüber ich die Ehrfurcht empfinde, die dem heiligen Buch einer großen Religion gebührt. Bei der Zitation des Texts von Kaiser Manuel II. ging es mir einzig darum, auf den wesentlichen Zusammenhang zwischen Glaube und Vernunft hinzuführen. In diesem Punkt stimme ich Manuel zu, ohne mir deshalb seine Polemik zuzueignen.“ Soweit die Anmerkung von Josef Ratzinger zu seiner Vorlesung.

Letztlich geht es dem Papst um die Frage, ob Gott und Seele – bei aller Unfassbarkeit – der Vernunft unterworfen sind. Der Papst bejaht diese Frage für die katholische Kirche, den Muslimen (und den Protestanten) empfiehlt er, sich dieses Gottesverständnis (wieder) zu Eigen zu machen. Der Papst macht auf seine Weise deutlich, dass er von den Muslimen eine theologische Entwicklung fordert. Das heißt aber auch, dass er diese Entwicklung vor dem Hintergrund seiner intimen Kenntnis des Islam für möglich hält. Deshalb fällt es dem Papst nicht schwer, seinen Respekt vor dem Koran uneingeschränkt zu bekunden. In diesem Respekt kann der Papst uns ein Vorbild sein. Und der Papst weiß, wovon er spricht. Gerade die katholische Kirche hat mit Hexenverfolgung, Ketzerverbrennung, Inquisition und Kreuzzügen, im Umgang mit Wissenschaftlern wie zum Beispiel mit Galileo Galilei eine Entwicklung genommen, die so manchen Irrweg aufweist.

Für unseren aufgeklärten Staat geht es meines Erachtens um die Frage, wer hat den Vorrang: Staat oder Religion. „Gebt Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist.“, lesen wir im Matthäus-Evangelium. Auf die Anforderungen an die Politik im Tagesgeschäft wird vielleicht Minister Laschet in seiner anschließenden Rede eingehen.

Ich will nur an nur noch an geschichtliches Beispiel einer gelungenen Kooperation erinnern, wenn es auch damals um Macht ging: Karl der Große verbündete sich mit dem sagenhaften Kalifen Harun al Rashid gegen den omayyadischen Kalifen von Sevilla. Wir haben einen Eindruck in die Welt des 9. Jahrhunderts bekommen durch die Führung, die unsere heutige Preisträgerin, Frau Marijke Barkhoff, zu dieser großartigen Ausstellung „Ex oriente – Issak und der weiße Elephant“ 2003 in Aachen organisiert hat. Das war bereits damals vor 1200 Jahren ein rationaler Umgang mit den geistigen Mächten. Das sollte heute umso mehr möglich sein.

Im Koran steht in Sure 2, Vers 256: In der Religion gibt es keinen Zwang. Dem ist nichts hinzuzufügen. Die Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz e.V. will hier vor Ort dazu beitragen, dass wir alle uns gegenseitig besser kennenlernen und in Respekt und Solidarität miteinander umgehen und von einander lernen.


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