Fünfte Preisverleihung für Toleranz und Zivilcourage
Zivilcourage erfordert keine Helden
Von Dorothée Schenk [31.01.2010, 17.07 Uhr]
Zivilcourage zeigen, unbequem sein und sich gegen die Gleichgültigkeit im Alltag stellen, das sind die Kriterien, die Preisträger auszeichnet, die von der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz seit 2006 ausgewählt werden. In diesem Jahr waren es vier Einzelpersonen und vier Gruppen die den Preis erhielten.
![]() Gesichter, die für Zivilcourage und Toleranz stehen und Beispiel geben: Die Preisträger 2010 und der Vorstand der Jülicher Gesellschaft. |
Zuweilen hätte man die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören können – und das, obwohl auffallend viel junges Publikum die Reihen in der Aula des Technologie-Zentrums füllte. Aufrüttelnd und packend erzählten Günther Schorn, Heinz Bielefeldt und Peter Giesen von ihren persönliche Erfahrungen mit Diktatur, Angst vor dem Terrorregime der Nazis, aber auch ihrer Scham und ihrem Engagement.
Als Bergbau-Familie waren die Männer der Familie Schorn „uk“, unabkömmlich“, und blieben daher vom Kriegsdienst verschont erzählte der Pensionär. Selbstverständlich aber war die tagtägliche Beeinflussung in der Hitler Jugend, der die kritische Einstellung der Eltern gegenüberstand. „Das wird sich rächen“, war deren Meinung, die aber nur hinter verschlossene Türe geäußert wurde. Die Angst vor der eigenen Verfolgung, so beschreibt es Günther Schorn, ließ viele Menschen schweigen. Bis zum Ruhestand arbeitete der Bergmann in der Zeche Emil-Mayrisch mit Menschen vieler Kulturen und Glaubensrichtungen zusammen. Seit zehn Jahren ist er aktiv in der Geschichtswerkstatt von Aldenhoven. Sein Ziel ist, vor allem der Jugend zu erzählen, wie es war und immer neue Antworten zu finden auf die Frage „Warum habt Ihr nicht geholfen?“
Heinz Bielefeldt ist ebenfalls in der Geschichtswerkstatt aktiv. Seine Enkel mahnten ihn immer wieder verschüttete und verdrängte Geschichte zu erzählen. „Wir arbeiten exemplarisch Geschichte auf“, erläuterte der pensionierter Pädagoge. Viel gegeben hätten ihm in den letzten Jahren Begegnungen mit Überlebenden des Holocaust, vor allem Abaja Ari. Der Deutsche war vor dem Terror über London nach Jerusalem geflohen. Vor 31 Jahren traf ihn Heinz Bielfeldt dort und der Jude äußerte den Wunsch nach einer Brieffreundschaft zwischen Israeliten und Deutschen. Angefeindet wurde er, so Bielefeldt, von seinen Glaubensgenossen mit dem Hinweis auf das 5. Buch Mose, Kapitel 24 „vergiss es nicht“ – was nämlich die Feinden des Juden angetan haben. Ari soll darauf erklärt haben, dass nicht der Hass in Erinnerung bleiben sollte, sondern die Zukunft, in der diese Ereignisse sich nicht wiederholen sollten. „Das ist eine ewige Aufgabe, politisch, moralisch und pädagogisch auf immer“, erklärte Heinz Bielefeld.
Ihr verpflichtet fühlt sich auch Pfarrer Charles Cervigne, der als Trio mit Schorn und Bielefeldt mit dem Preis für Zivilcourage und Toleranz ausgezeichnet wurde. Er sei zwar der Jüngste, fühle aber nicht die „Gnade der späten Geburt“. Sein Großvater mütterlicherseits sei verdienter Hauptmann der SS gewesen und er sei mit totgeschwiegener Geschichte groß geworden. Ihm selbst sei bei einem Schülerzeitungs-Artikel über eine Organsation, die sich um alte SS-Männer kümmerte, ein Schulverweis vom Direktor angedroht worden.
Stets er setzt sich, so schilderte es Heinz Spelthahn von der Jülicher Gesellschaft in seiner Laudatio, gegen Diskriminierung jeglicher Art und für die Verständigung der Vielfalt Kulturen und Glaubensrichtungen ein. „Wir müssen aus der jüdisch-christlichen Vergangenheit lernen“, ist der evangelische Pfarrer überzeugt. Das Ziel müsse sein „Geschichte für die Gegenwart fruchtbar zu machen, um Zukunft zu gewinnen.“ Dies sei nur in der Demokratie möglich, die „anstrengendste der Staatsformen für den Bürger, denn alle müssen sich beteiligen.“ Dass das auch heute noch gilt, dazu verwies er auf die aktuelle Tagespresse, in der das Bestreben von Neonazis auf Seite 1 Platz fand, die in Fuß fassen wollen.
![]() Konfirmanden um Pfarrerin Karin Latour (r) tragen Auszüge aus Texten zur Gedenkfeier der Reichspogramnacht 2009 vor. |
Das Trio Schorn-Bielefeldt-Cervigne wurde aktuell wegen ihrer treibenden Kraft zur Aufstellung des Mahnmals im Aldenhovener Römerpark geehrt. Auf unterschiedliche Weise qualifizierten sich die Ausgewählten für den jährlich ausgelobten Preis.
„Zivilcourage erfordert keine Helden“, stellte Gabriele Spelthahn, Vorsitzende der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz e.V., in der Eröffnungsrede zur Preisverleihung klar. Verfolgen, was sich rundherum tut, sich zu- statt abzuwenden und Fairness walten zu lassen waren einige Verhaltensweisen, die sie ihren Zuhörern mitgab. Bereits jetzt erfüllen dies Jugendlichen, die am 9. November die Festakte zum Jahrestag der Pogromnacht mitgestalten. Sie zeichnet die Jülicher Gesellschaft in jedem Jahr aus. 2009 waren es die Firmling und Konfirmanden aus Jülich, die Konfirmanden und Pfadfinder aus Aldenhoven sowie die Neuntklässler der Hauptschule und Realschule in Linnich.
Gerade deren Engagement, betonte Preisträger Peter Giesen, ließen diesen Abend, für ihn zu einem Geschenk werden. Noch immer schäme er sich und schildert seine Erinnerung an Frau Natan, der jüdischen Nachbarin, die stets als erste Gratulantin bei der Geburt eines Kinder zur Stelle war. Nach der Zerstörung ihres Heims irrte sie durch die Straße aber „Wir öffneten Frau Natan nicht die Türe.“ Dass die Jugendlichen Erinnerung und Geschichte lebendig hielten, sei ein Geschenk. „Ich bin ausgesöhnt mit dem Tag heute“, erklärte Peter Giesen lächelnd.
Der 89-jährige engagierte Politiker, Jüchener Ehrenbürgermeister und Pädagoge wurde unter anderem für seine lebenslange selbstkritische Auseinandersetzung mit seiner Vergangenheit als Leutnant der Wehrmacht und daraus gewachsen sein Engagement für den Dialog mit den Überlebenden, der Initiative zur Aufstellung des – vermutlich ersten – Mahnmals für ermordete Juden, der Dokumentation von Leistungen jüdischer Bürger in seiner Stadt geehrt. „Das verlangt unseren Respekt und unsere Anerkennung“, betonte Laudator Heinz Spelthahn.
Info:
Der Preis für Zivilcourage und Toleranz wird in Jülich seit 2006 verliehen.
Das Datum ist immer dasselbe: Der 27. Januar, der Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, den Roman Herzog von 14 Jahren als Welt-Holocausttag institutionalisierte.
Preisträger waren 2006 die Arbeitsgemeinschaft „Kopernikusstraße“ ; 2007 Helga und Dr. Jochen Range (ai und Aktion Wasserbüffel), 2008 Marijke Barkhoff. (Kultur ohne Grenzen); 2009 ging posthum an Norbert Thiel (polnisch-deutsche Verständigung) und an Christel und Manfred Lammel aus Nettersheim (Galerie zur Kunst und Literatur zum Judentum).
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