Wie iranische Studenten fünf Jahre in Jülich erlebten

Alles so schön grün hier
Von Arne Schenk [15.09.2007, 15.32 Uhr]

Fünf Jahre lang waren Siamack und Sasan Grayli in Jülich als Studenten an der Fachhochschule. Am Wochenende zum 21. September heißt es Abschied nehmen. Es geht zurück in den Iran. Über ihre Erfahrungen, Eindrücke, Sehnsüchte und Freundschaften sprachen sie mit Arne Schenk.

Siamack und Sasan Grayli kamen vor fünf Jahren nach Jülich.

Siamack und Sasan Grayli kamen vor fünf Jahren nach Jülich.

„Hier sieht aber alles sehr grün aus“, war der erste Eindruck von Siamack V. Grayli, als er aus dem Zug nach Jülich stieg, „aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich diesen Ort mögen könnte. „Die Farbe ändert sich nicht“, fügt sein Bruder Sasan lachend hinzu. Im Gegensatz zum Iran, wo die Jahreszeiten von unterschiedlichen Farben geprägt sind, herrscht hier eine einzige das ganze Jahr hinüber, wohl weil die Temperaturen nicht so extrem schwanken.

Dies war am 7. August 2002, erinnert sich Siamack noch genau. Die erste akademische Ausbildung nach ihrem wollten sie am Campus Jülich absolvieren, nachdem sie die Schule in ihrer iranischen Heimat abgeschlossen hatten. Fünf Jahre später haben beide ihren „Bachelor“ in der Fachrichtung „Biomedical Engineering“ in der Tasche.

Ursprünglich war Deutschland gar nicht ihr Ziel, ihr Sinn stand eher nach Kanada. Aber der Prozess, dort zugelassen zu werden, dauert wesentlich länger. Ein mit der Familie befreundeter Professor brachte die Jülicher FH ins Spiel, wo sie zunächst englischsprachige Studiengänge belegen konnten, ehe diese allmählich ins Deutsche wechselten. Zudem zeigte er ihnen Fotos von Aachen, schließlich läge die Fachhochschule in der Kaiserstadt. Nette Stadt, dachten sie. Sie füllten ihre Anträge aus und innerhalb von vier Monaten waren sie in der Abteilung Jülich.

Dass Siamacks Eindruck von Jülich derart gespalten war, hatte aber auch etwas damit zu tun, dass er seine Familie hinter sich gelassen hatte, zu der er ein enges Verhältnis pflegt. Gleichzeitig war er an viel Sonne gewöhnt. Der bewölkte Himmel verstärkte die Traurigkeit noch. Bereits der Dürener Bahnhof wirkte völlig anders auf sie als sie es die Aachener Fotos in Erinnerung hatten. „Wir waren geschockt“, erzählt Sasan, „dazu kam, dass jeder Deutsch sprach, was wir nicht verstanden. Wir fühlten uns total isoliert.“

Werbung

Als Großstädter waren Siamack und Sasan Grayli anfangs geschockt von ihrer Studentenstadt.

Als Großstädter waren Siamack und Sasan Grayli anfangs geschockt von ihrer Studentenstadt.

Jülich verstärkte diese Depression noch. Immerhin kamen sie aus der fünft größten Stadt Irans, Schiraz, wo es immer laut ist, nach Jülich: „Im Zentrum hört man nur ihre Schritte, aber nicht, wie sie sich unterhalten.“ So küssen sich Paare eher, als dass sie miteinander sprächen.
Das Studium selbst forderte sie erst nach dem dritten Semester, als die Studiengänge fachspezifischer wurden. „Deutschland ist berühmt für seine Ausbildung in der Praxis. In dieser Hinsicht haben wir beide eine große Menge gelernt, um in einem System arbeiten zu können.“ Allerdings bedauert Siamack, dass die theoretische Ausbildung dagegen viel zu kurz gekommen sei.

Enttäuscht von der sportlichen Situation zeigt sich Sasan. Er spielte zuhause auf annähernd professioneller Ebene Basketball und hoffte, hierzulande wenigstens ein funktionierendes Hochschulteam anzutreffen, wo er trainieren konnte. Auch Siamack hatte Probleme, geeignete Sportstätten zu finden. Er hat sich dem Judo verschrieben. Im Gegensatz zu Aachen, wo es mit etlichen Trainern, Übungsräumen und Wettkämpfen in unterschiedlichen Ligen viele Möglichkeiten am Königshügel gäbe, sieht es in der Herzogstadt düster in Sachen Hochschulsport aus. Allerdings ist Siamack seit drei Jahren beim Judoclub Jülich, wo er mit um den Aufstieg in die Regionalliga kämpfen wollte.

Dummerweise hatte er vor allen drei Wettkämpfen Unfälle erlitten. Zuerst brach er sich beide Handgelenke, bei zweiten Mal einen Zeh, vor dem dritten bekam er eine schwere Schulterverletzung. Dennoch wollte er unbedingt teilnehmen. Allerdings war der Kontrahent nicht nur größer, sondern besaß zudem den schwarzen Gürtel, Siamack nur den orangenen. Wie durch ein Wunder gewann der Iraner dennoch das Match.

Angenehme Erfahrungen gab es indes natürlich auch. So hatten beide recht schnell eine eigene Band ins Leben gerufen, „New-born Crest“, später zu „The Krest“ verkürzt. Sasan hatte nie zuvor Bass gespielt, aber dennoch beim ersten Auftritt auf dem FH-Technik-Tag im Glashaus des Brückenkopf-Parks das meiste Publikum gehabt. „Da war eine ältere Dame mit altbackenem Hut. Wir spielten unseren Song ‚German High-Noon’ und sie wackelte mit ihrem Kopf. Offenbar gefiel ihr unsere Musik.“ Wesentlichen Anteil an dem guten Kontakt der Musiker untereinander habe Volker Muskat vom FH-Kulturverein „Action and Art“: „Ihn konnte man immer ansprechen. Er hat versucht, einem zu helfen, wenn man ein Problem hatte.“

Vermisst hatten sie neben der Familie, Straßenlärm und Sportaktivitäten so banale Dinge wie Hamburger und Pizzen. „Riesige, fettige und hässliche Hamburger, die einen besser fühlen lassen, wenn man deprimiert ist.“ Die hiesigen seien nicht nur in der Größe genormt, sondern schmeckten auch alle gleich. „Burgerfleisch, ein Tropfen Mayonnaise, ein Tropfen Ketchup, eine einsame Gurke, das ist alles. In jedem Restaurant. Das ist vielleicht gesünder, aber es schmeckt nicht so gut.“

Aber auch hier wird sie manches nicht loslassen, wenn sie weiterziehen, deutsches Bier, deutsche Autos und dass Sasan es nie zum Oktoberfest geschafft hat. Aber vor allem werden sie ihre Freundinnen vermissen, zudem Freunde aus allen möglichen Ländern, auch Deutsche. Siamack beispielsweise den Sohn seines Vermieter: „Er war 15 oder 16, als wir hier ankamen. Ich war so etwas wie sein älterer Bruder.“ Er erinnert sich gerne an die Sommertage auf dem Bauernhof in Tetz, wo sie noch wohnen. „Es ist ein ruhiger Platz. Wenn ich vom Sport kam, habe ich mich auf das Gras gesetzt und stundenlang Gitarre gespielt.“ Wenn sie einen Song über Jülich schreiben würden, welchen Titel könnte er haben? „The green Days“ – „Die grünen Tage“.


Dies ist mir was wert:    |   Artikel veschicken >>  |  Leserbrief zu diesem Artikel >>

NewsletterSchlagzeilen per RSS

© Copyright