Interview mit Dr. Erwin Fuchs, Vorsitzender des Jülicher Geschichtsvereins 1923

Zeit für eine neue, kritische Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit in Jülich
Von Dorothée Schenk [06.05.2005, 19.55 Uhr]

In der siebten Generation ist die Familie Fuchs in Jülich ansässig. Damit ist sie bereits selbst ein Stück Stadtgeschichte. Der jetzige Senior der Familie Fuchs, Dr. Erwin, ist zudem auch Vorsitzender der Jülicher Geschichtsvereins 1923. In Personalunion ist er sozusagen Zeitzeuge und „Verwalter“ von Geschichte. Mit Dorothée Schenk sprach er über die Bedeutung des 8. Mai, dem 60. Jahrestag des Kriegsendes.

Dr. Erwin Fuchs erlebte den Tag des offiziellen Kriegsendes in der Gefangenschaft.

Dr. Erwin Fuchs erlebte den Tag des offiziellen Kriegsendes in der Gefangenschaft.

Wie haben Sie das Kriegsende am 8. Mai erlebt – oder besser: den Friedensbeginn?

Dr. Fuchs: Bei Kriegsende war ich nicht in Jülich. Ich war in amerikanischer Gefangenschaft in Traunstein. Drei Wochen vor Kriegsende wurden wir gefangen genommen. Mit zigtausenden Gefangenen waren wir ohne Dach und Bett im Lager untergebracht. Grad heraus gesagt: Die Lebensgefahr, die für mich als Soldat stetig da war, fiel mit dem Kriegsende weg. Ich musste nicht mehr damit rechnen, von Jagdfliegern abgeschossen zu werden.

Wie lebte Jülich im Beginn des Friedens, war es ein Wendepunkt in der ja zu 90 Prozent zerstörten Stadt?

Dr. Fuchs: Meine Familie war bei meinem Patenonkel, der Pfarrer war, in Braunfels in der Evakuierung. Ein Jahr nach Kriegsende kamen wir nach Jülich zurück. Unser Haus in der Kölnstraße, das mein Großvater 1870 gebaut hat war zerstört. Nein, Aufbruchstimmung herrschte nicht in Jülich. Aufgebaut haben die Stadt die Metzger, Bäcker, Lebensmittelhändler und Wirte.

Der Jülicher Geschichtsverein 1923 ist eines der offiziellen Geschichtsgedächtnisse unserer Stadt. Wie arbeitet der Verein die Kriegs- und Nachkriegszeit auf?

Dr. Fuchs: Wir haben im Verein den Arbeitskreis Jüdisches Leben im Jülicher Land, der von Gabriele Spelthahn geleitet wird. Von Helmut Scheuer ist 1984 die Ausstellung initiiert worden „Wie es damals war“, in der die Jahr 1944 bis 1948 in Jülich beleuchtet wurden. Ein Jahr später ist das Buch hierzu erschienen, das inzwischen in mehreren Auflagen erreicht hat. Natürlich greifen wir das Thema in Aufsätzen des Jahrbuchs des Geschichtsvereins und in unserer Vortragsreihe auf. Mein Hauptinteresse gilt dem 15.-17.Jahrhundert, da bin ich ganz ehrlich. Wir sind uns im Vorstand einig, dass es Zeit ist für eine erneute kritische Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit.

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Dankbarkeit, die schwere Zeit glücklich überstanden zu haben: Dr. Erwin Fuchs.

Dankbarkeit, die schwere Zeit glücklich überstanden zu haben: Dr. Erwin Fuchs.

Versteht sich der Geschichtsverein als Beschreiber oder als Mahner?

Dr. Fuchs: Beides: Wir wollen beschreiben und mahnen gleichzeitig. Die Geschichte ist für die Gegenwart wichtig, obwohl viele sagen, dass aus der Geschichte nichts gelernt wird. Entgegen den Aussagen von Papst Benedikt XVI. bin ich sehr für das Relativieren. Aber der Papst wird mehr gehört als ich.

Wie sinnvoll ist eine Ausstellung wie „Krieg und Frieden“, die am Sonntag im Museum Zitadelle eröffnet wird für die „verwöhnte Friedensgeneration“?

Dr. Fuchs: Die Ausstellung ist wichtig, weil sie lehrt, wie Menschen unter diesen schwierigen Verhältnissen leben mussten. Es ist eine Mahnung, Krieg in zukünftigen Zeiten zu vermeiden.

Wie werden Sie persönlich Sonntag, den 60. Jahrestag des Kriegsendes, begehen?

Dr. Fuchs: Ich gucke mir die Ausstellung gründlich an. Und ich werde mich mit Sicherheit an die Zeit von 1930 bis 1960 erinnern. Das bewegt mich sehr: Die Schwierigkeiten und das Glück, das ich hatte. Das stärkere Gefühl an diesem Tag ist die Dankbarkeit, überlebt zu haben, vor allem wenn ich an die Freunde und Kameraden denke, die rechts und links neben mir weggeschossen wurden. Das ist etwas, worüber ich noch heute nachdenke. Ich hätte nichts dagegen gehabt, wenn meine Söhne den Kriegsdienst verweigert hätten. Aber sie haben sich anders entschieden.


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