Propst, Gemeindemitglieder und Schützen sammeln Spenden

Altes Stück Jülicher Geschichte bröckelt
Von Dorothée Schenk [26.02.2016, 13.09 Uhr]

Der Westturm der Propsteikirche am Marktplatz ist das wohl älteste erhaltene Bauwerk in Jülich. Seit 2014 im Spätsommer ist er eingerüstet, weil bei einer Feuerwehrübung aufgefallen war, dass er im wahrsten Sinne "aus den Fugen" gerät. Das Mauerwerk war so marode, dass sofort Sicherungsmaßnahmen ergriffen wurden und klar war, dass eine Sanierung zwingend notwendig ist. Was zur Sanierung fehlt, ist Geld. Am morgigen Samstag, 27. Februar, werden Pfarrer Josef Wolff und die Mitgliedern des Bauausschusses sowie der St. Antonii- und Sebastianii-Schützen von 10 bis 12 Uhr auf dem Marktplatz Spenden sammeln.

Seit Spätsommer 2014 ist der Kirchturm der Propstei-Pfarrkirche eingerüstet.

Seit Spätsommer 2014 ist der Kirchturm der Propstei-Pfarrkirche eingerüstet.

Nicht nur ein "Vergelt`s Gott" gibt es für die Gebefreudigen, ihnen wird ihre Zuwendung durch „Propsteiturm-Lebkuchen“ versüßt. Als Blickfang werden auch ein paar Gerüst-Teile auf dem Markt aufgebaut sowie die Steine aus der Fassade zu sehen sein, die herausgebröselt sind. Zusätzlich gibt es Informationen und Gesprächsmöglichkeiten zur Notwendigkeit der Baustelle.

Tatsächlich ist der Turm nicht nur das weithin sichtbare Zeichen der Pfarrkirche, sondern erzählt auch wunderbar Jülicher Geschichte und ist ein echter Hingucker: Neben dem linken Seitenportal finden sich Spuren das alten Römer. An der Turmmauer entdecken Menschen mit Liebe zum Detail so genannte Spolien. Relikte aus römischen Bauwerken, die im Mauerwerk verarbeitet sind. In diesem Fall eine Fortuna, die ihr Füllhorn ausschüttet. Allerdings muss der interessierte Betrachter dazu den Kopf um 90 Grad neigen.

Auffälliger, aber sicher schon durch Gewohnheit aus dem Blickfeld geraten ist das romanische zweistufige Säulenportal mit seinen Kopfskulpturen und dem Kerbschnittfries.

Im 18. Jahrhundert waren das Außenportal des Turms und das Hauptportal bei Umbauten vermauert und erst 1878 unter dem Architekten Johann Heinrich Wiethase wieder freigelegt worden. Die 19 Kopfskulpturen sind keine Porträts, sondern Typen, die die Stände symbolisieren. Der Herrscher mit der Krone ebenso wie der Kurfürst, der Soldat mit Helm, der Geistliche… 

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"Entrüstet" soll der Westturm von St. Mariä Himmelfahrt wieder aussehen.

"Entrüstet" soll der Westturm von St. Mariä Himmelfahrt wieder aussehen.

Bei der Wiederentdeckung wurden vermutlich beschädigte Köpfe ausgewechselt oder neu angefertigt. Das weiß der Ortskundige nicht nur, weil auf den Kapitellen, die die Säulen bekrönen, die Jahreszahl 1878 zu lesen ist, sondern auch, weil die 15 bärtigen Männerköpfe zwar der Tradition des Mittelalters folgen, aber die Handwerks-Handschrift des 19. Jahrhunderts tragen. So war der gezeigte Kurfürstenhut im 12. Jahrhundert beispielsweise unbekannt, und der Männerkopf im Bogenscheitel trägt einen lockigen Backenbart nach Mode des 19. Jahrhunderts.

Nicht alle Steine im Turm sind original "Mittelalter", was beim näheren Hinsehen auch dem Laien deutlich wird: Die handbehauenen Ziegel setzen sich sichtbar von den industriegefertigten ab. Wer vor dem rechten Seiteneingang steht, der auch zur Orgelempore führt, kann mit bloßem Auge noch ein weiteres Stück Baugeschichte entdecken: Ursprünglich gab es einen Zugang zur Michaelskapelle, die Raum über der Eingangshalle findet. Der Rundbogen des Eingangs ist oberhalb des Sims noch gut zu erkennen. Er ist seit dem Barock vermauert.

Damit der Turm nun endlich "entrüstet" wird und mit seinen schönen Details sichtbar, üben sich nun also der Propst, Gemeindemitglieder und Schützen im Schulterschluss und bitten zur Sanierung um finanzielle Unterstützung der Jülicher. Rund eine viertel Millionen Euro, so rechnet Pastor Wolff, wird die Turmsanierung kosten. Dabei wird der Löwenanteil durch das komplizierte Gerüst verursacht. "Man sieht davon nur die Hälfte", erklärt der Propst, denn umschlossen und gesichert wird der komplette Turm, und die Konstruktion führt sogar über das Dach hinaus.

Zwei Drittel der Summe steuert das Bistum für die Erhaltungsmaßnahme bei. Nach Adam Riese muss die Pfarrei Heilig Geist fast 84.000 Euro selbst aufbringen.

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