Kirchen luden zur Diskussion „Auskommen mit den Einkommen“

„Man fühlt sich als Sozialschmarotzer.“
Von Arne Schenk [08.07.2013, 14.30 Uhr]

Dagmar Becker, Geschäftsführerin der regionalen Armutskonferenz für den Kreis Düren,  Josef Macherey von der Dürener lowtec und  Jakob van Kempen, ehemaliger Sekretär der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) führten in das Thema ein.

Dagmar Becker, Geschäftsführerin der regionalen Armutskonferenz für den Kreis Düren, Josef Macherey von der Dürener lowtec und Jakob van Kempen, ehemaliger Sekretär der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) führten in das Thema ein.

Langzeitarbeitslosigkeit, der schwierige Umgang mit der job-com, mangelnde sozialversicherte Stellen und die erfolglose Vermittlung vieler Jugendlicher standen im Mittelpunkt der Podiumsdiskussion „Soziale Gerechtigkeit – Auskommen mit dem Einkommen“ im Büro der Regionaledekane in Düren.

Ziel von Katholikenrat der Region Düren und der evangelischen Gemeinde zu Düren war es, die Schwerpunktthemen fachlich und sachlich vorzustellen, ehe das Auditorium mit den Kreis-Dürener Kandidaten zur Bundestagswahl am 22. September – Thomas Rachel (CDU), Dietmar Nietan (SPD) und Oliver Krischer (Bündnis 9/ Grüne) – ins Gespräch kommen sollte. „Wir bekennen uns im Namen Jesu zur Verantwortung für den Mitmenschen, für die Gesellschaft, für alle, die verkannt, vergessen, hilflos, ausgenutzt und unterdrückt sind“, zitierte Monika Ollig vom Vorstand des Katholikenrates Düren bei der ökumenischen Veranstaltung aus der Dürener Theologische Erklärung der Evangelischen Gemeinde zu Düren aus dem Jahr 1969. Und betonte gleich zu Anfang, dass die Kirchen sich als verlässlicher Partner, in Düren etwa durch das Sozialwerk Dürener Christen oder In Via, aber auch kritischer Begleiter von Entscheidungen der Bundesregierung sieht.

Die Betroffenheit im Raum war fast mit Händen greifbar, als „Frau Schmitz“ ihre Geschichte vom wirtschaftlichen und sozialen Abstieg schilderte. Unter dem Pseudonym erzählte die 43Jährige, wie sie arbeitslos auf „Hartz IV“ angewiesen wurde, seit ihr Arbeitgeber Insolvenz anmeldete Sie schilderte den Verlust der sozialen Kontakte, weil sie mangels Geld an Freizeitaktivitäten nicht teilnehmen kann und ohne Auto nicht mobil ist, und wie sie von der jobcom ohne Erfolg und Beachtung ihrer Qualifizierungen von Maßnahme zu Maßnahme geschickt wurde. Für ihre Eigeninitiative, die zu einem 400EuroJob führte, erntete sie Kritik, da sie dem Sachbearbeitern mehr Arbeit verursachen würde. Erniedrigend sei der Umgang mit der jobcom gewesen: „Man fühlt sich wie ein Sozialschmarotzer, wie der letzte Dreck.“

Dies sei „kein krasser Einzelfall“, unterstrich Dagmar Becker, Geschäftsführerin der regionalen Armutskonferenz für den Kreis Düren. 11000 Bedarfsgemeinschaften seien im Kreis Düren auf Arbeitslosengeld II angewiesen, 4500 seien so genannte Aufstocker, jene die von ihrem Broterwerb nicht leben können. Sie forderte unter anderem von den Politikern bessere Betreuungsschlüssel anzulegen, durch den eine Einschätzung der Ressourcen den Einzelnen besser möglich sei. Ein Indikator wachsender Armut im Kreis Düren sei die Eröffnung von „Tafeln“ in fast jedem Ort.
Gute Vermittlungschancen für arbeitslose Jugendliche nach einer Weiterqualifizierung verhieß Josef Macherey von der Dürener lowtec. 64 % davon hätten es geschafft, auf Dauer aus dem Hartz4Bezug zu kommen. Er beklagte, dass Gelder derzeit eher in Projekte für„kurzfristig Vermittelbare“ flössen. In drei Jahren habe der Staat die Förderung für Integrationsmaßnahmen um 52 Prozent gekürzt. Gleichzeitig sei die Zahl der Langzeitarbeitslosen gleich geblieben. Teilweise über 7 Euro Unterschied im Stundenlohn zwischen Leiharbeiten und Festangestellten prangerte der Versicherungsälteste Jakob van Kempen, ehemaliger Sekretär der katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB), an.

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Bundestagsabgeordnete diskutierten mit dem Publikum: Thomas Rachel (CDU), Dietmar Nietan (SPD) und Oliver Krischer (Bündnis 90/Grüne)

Bundestagsabgeordnete diskutierten mit dem Publikum: Thomas Rachel (CDU), Dietmar Nietan (SPD) und Oliver Krischer (Bündnis 90/Grüne)

Flächendeckender Mindestlohn von wenigstens 9 Euro und eine Bindung an tarifliche Verträge forderte er. Derzeit hielten sich nur 53 % der Unternehmen in West und 36 % in Ost-Deutschland an die Tarifverträge. Van Kampen zitierte das Pauluswort „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“ und bekräftigte im Umkehrschluss: „Wer arbeitet, soll auch genug zu essen haben.“ Außerdem forderte er eine Lebensleistungsrente. Die Hälfte aller Frauen habe 2012 mit einer durchschnittlichen Rente von 541 Euro auskommen müssen.

Dass „Rente“ ein drängendes Thema ist, zeigten Wortbeiträge aus dem Publikum. Nicht nur die Sorge um die eigene Rente fand Ausdruck, sondern vor allem die nachfolgender Generationen, die in Niedriglohn-Segmenten beschäftigt, keine Möglichkeiten für persönliche Rücklagen hätten. Von politischer Seite war zu hören, dass die Rente den größten Teil des Bundeszuschusses ausmache, allerdings, so kritisierte Oliver Krischer (Grüne), seien einige Pflichtleistungen zum Nachteil der Rentner in Ermessungsleistungen umgewandelt worden. Die Wertschätzung der Kompetenz und des Wissens der Senioren unterstrich Thomas Rachel (CDU). In den letzten zehn Jahren habe sich die Zahl der Beschäftigten im Alter zwischen 60 und 65 Jahren verdoppelt.

Einig waren sich die Politiker, dass ein Schicksal wie das von „Frau Schmitz“ inakzeptabel ist. Das Sozialsystem, betonte Rachel, müsse darauf ausgelegt sein, qualifiziert zu helfen; bei Hartz IV hätte man nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes nachgebessert und das Beihilfe und Teilhabe-Paket (BUT) sei ein großer Fortschritt bei der Anerkennung auf ein Recht auf Bildung. Mindestlohn lehnt der CDU-Abgeordnete ab, er sei für eine „anständige Bezahlung“, die tariflich festgelegt werden solle. Tarifbindung ist auch für Dietmar Nietan (SPD) die bessere Lösung, denn um Altersarmut zu verhindern, müsse ein Mindestlohn wenigstens zweistellig sein. Nicht Politiker, sondern nur eine Experten-Kommission könne hier Lösungen erarbeiten. Sein Lösungsvorschlag ist, Passivleistungen aus Hartz-IV und Aktivleistungen aus den Förderungen für den Arbeitsmarkt zusammenzuführen, um einen dauerhaften Sozialen Arbeitsmarkt schaffen.

Unterstützung fand Nietan durch Krischer, der sich zusätzlich für eindeutig für einen Mindestlohn von wenigstens 8,50 Euro aussprach. Er kritisierte die Entwicklung in der Leiharbeit, die einst für die Flexibilität von Firmen eingesetzt inzwischen ein Instrument des Lohndumping geworden sei. Außerdem sei er für die Abschaffung des Beihilfe und Teilhabe-Paket (BUT) zugunsten einer Kindergrundsicherung und Steuererhöhungen. „Die Gesellschaft ist nicht arm“, sagte Krischer, seine Partei wolle 90 Prozent der Bürger entlasten und zehn Prozent belasten. Es widerspräche sich, die Schuldenbremsen einhalten zu wollen und gleichzeitig nicht die Steuern zu erhöhen.

„Standpunkte statt Parolen tauschen“, dieser Losung hatten die Organisatoren des Abends ausgegeben und ihr folgten die Gäste in der Aula im Büro der Regionaldekane. Trotz der – themenbedingt – durchaus emotionalen Stimmung , zeigten sich das Auditorium wie die rivalisierenden Parteipolitiker diszipliniert und diskussionsfreudig und hielten sich auch weitgehend an die vorgegebenen Themen. Kurze Exkursionen zur Energiepolitik und das NRW-Landesgesetz zum so genannten Stärkungspakt, der in Nideggen zur Einsetzung eines Sparkommissars führte, blieben Randthemen.


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