Thierry Boissel: Ausstellung und Führung

Linnich: Glaspoesie zum Anfassen
Von Dorothée Schenk [27.05.2015, 19.00 Uhr]

Thierry Boissel (M) neben Museumsleiterin Dr. Myriam Wierschowski.

Thierry Boissel (M) neben Museumsleiterin Dr. Myriam Wierschowski.

Radikal, modern und exerimentell – mit diesen Adjektive wurde Glaskünstler Thierry Boissel zur Ausstellungseröffnung im Deutschen Glasmalerei- Museum Linnich am häufigsten geschmückt. Zu recht. Unter dem Titel „Poesie aus Licht, Glas und Farbe“ ist die außergewöhnliche Werkschau bis Ende August in Linnich zu sehen.

Nicht mehr mit gängigen Klischees zu messen, seien die Arbeiten des gebürtigen Franzosen, vielmehr zeige er, was gute Glasmalerei vermöge: „Den Raum in bestimmte Atmosphäre zu hüllen und ihm Sinnlichkeit zu verleihen.“ So formulierte es Museumsleiterin Dr. Myriam Wierschwoski in ihrer Laudatio. Handwerklichen Ausdruck findet seine Experimentierfreude in der Technik des Schmelzverfahrens und der thermischen Verformung des Einscheibensicherheitsglas (ESG), das Thierry Boissel inzwischen als Verfahren hat patentieren lassen.

Das Arbeiten mit dem Raum steht im Mittelpunkt der Arbeiten des Wahl-Münchners. Daher hat er exklusiv für Linnich vier Installationen geschaffen. Im wahrsten Sinn zum Niederknien… Dazu lädt der Künstler den Betrachter des Werkes „Zeitzeugen“ nämlich ein: Reliefartig eingeschmolzene Punkt- und Strichraster, die an Fotorealismus erinnern, bilden eine scheinbar zufällige Gruppe von umherstehenden Menschen ab. Ein “pars pro toto“, denn es ist Teil der 34-Meter-langen gläsernen Trennwand, die in St. Agatha Altenhundem Lennestad den Kirchenraum zur Werktagskapelle abtrennt.

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Reliefstrukturen sind typisch für die Kunst von Thierry Boissel.

Reliefstrukturen sind typisch für die Kunst von Thierry Boissel.

Die Ebene 2 nimmt nahezu vollständig das Werk „il est non pas trop tard“ ein, das der Künstler selbst als „Farbgedicht“ bezeichnet. Den unterschiedlichen Farben sind Buchstaben zugeordnet, so dass einzelne Wörter und auch Sätze entstehen können. Damit ermögliche Boissel „erweiterte Erlebnisse“, betont Dr. Wierschowski. Zwölf dieser Farbgedichte entstanden 2009, um als Schallschutzmauer einer Schule in Nymphenburg zu dienen. So ist das Werk gleichzeitig Trennung und – durch den Werkstoff Glas – Verbindung und tritt durch die Spiegelung in Beziehung zur Umgebung.

Auf Ebene 3 kombiniert Boissel Ornamentvorlagen aus zwei Projekten: Aus St. Nikolaus Borgholzhausen und der psychischen Klinik in Incheon, Südkorea. Durch die Platzierung der Scheiben im Raum ergeben sich unendlich viele Variationen von Mustern und virtuellen Räumen. Konsequent fortgeführt wird diese Vielfalt und Vervielfältigung in der künstlichen Atelierszene, in der unter dem Titel „Überlagerung“ 36 Musterstücke in scheinbar zufälliger Anordnung im Raum platziert wurden.

„Ich möchte etwas Besonderes in Linnich schaffen – ich plane ein Experiment. Es kann gut gehen, und eben auch voll daneben gehen.“ So selbstkritisch soll es Thierry Boissel nach Dr. Wierschowski im Vorfeld formuliert haben. Unnötig – es ist nicht nur gut gegangen, die Ausstellung ist wunderbar inspirierend und absolut sehenswert.

Sehenswert - das gilt auch für Blinde und Sehbehinderte, auch wenn es im Widerspruch zu stehen scheint. Das Deutsche Glasmalerei-Museum Linnich bietet in Abstimmung mit Thierry Boissel am Donnerstag, 18. Juni, um 15.30 Uhr erstmals eine spezielle Führung an. Die aktuelle Aausstellung eignet sich nach Auffassung des Museums dafür besonders, da der Künstler unter anderem mit Reliefstrukturen arbeitet und die Erlaubnis zum Berühren dieser Werke gegeben hat.

Vorherige Anmeldungen sind notwendig unter Telefon 02462/9917-0 oder per e-mail: info@glasmalerei-museum.de.


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