Sonderausstellung
In Linnich "Goldene Geschichten auf Glas" sehen
Von Dr. Myriam Wierschowski [12.03.2013, 08.26 Uhr]
Das Deutsche Glasmalerei-Museum präsentiert ab Samstag, 16. März, ein einzigartiges Konvolut von rund 100 historischen Kabinettscheiben aus einer süddeutschen Privatsammlung unter dem Ausstellungstitel: „Goldene Geschichten auf Glas. Kabinettscheiben von Gotik bis Barock“.
Im ausgehenden Mittelalter entsteht die Gattung der Kabinettscheiben; die Bezeichnung leitet sich ab von den Prunkzimmern der Wohlhabenden, den Kabinetten. Doch die kleinen, auf Nahsicht konzipierten, gläsernen Kostbarkeiten schmückten nicht nur Privatgemächer, sondern wurden auch in die Fenster von Rathäusern, Zunftstuben, Kreuzgängen und Privatkapellen eingelassen. Die Miniaturgemälde wurden in die Oberlichter der ansonsten neutral - mit Butzen- oder Rautenscheiben - verglasten Fenster eingesetzt.
Die Linnicher Ausstellung stellt neben den Sonderformen der „Schweizerscheibe” und der „Fensterbierscheibe” vor allem die sogenannten „Roundels” - das sind monolithe Rundscheiben - in den Mittelpunkt der Betrachtung. Ihre Größe zwischen ca. 18 und 23cm Durchmesser leitete sich von der Produktionsgröße mundgeblasenen Flachglases ab.
Die Roundels sind meist zweifarbig und zeichnen sich durch eine detailreiche und nuancierte Malerei auf farblosem Glas aus. Als Malmittel dienten die seit dem Mittelalter bekannten Glasmalfarben Schwarzlot (bestehend aus zerriebenem Glas und dunklen Metalloxiden) und Silbergelb (bestehend aus einer Silbersalzlösung). Das Schwarzlot ermöglichte eine feine Konturmalerei wie auch eine flächendeckende Lasurmalerei. Die Helligkeitswerte oder Schattierungen wurden durch Nicht-Bemalen oder Herauskratzen der Schwarzlotlasur erreicht. Das rückwärtig auf die Scheibe aufgetragene Silbergelb hingegen offerierte eine goldähnliche Farbtonskala von Zitronengelb bis Ocker. Nach 1550 kamen teilweise die schmelzbaren transluziden Emailfarben hinzu.
Die frühesten gezeigten Exponate stammen aus der Gotik; sie zeichnen sich durch den spröden Charme einer reduzierten und holzschnittartigen Darstellungsform aus. Neue wissenschaftliche Errungenschaften der Renaissance, u. a. Anatomie und Zentralperspektive, führen um 1500 zu einer realistischeren und komplexeren Darstellungsform. Um 1525 lag die Blütezeit der Roundels; sie entstanden vor allem in den Niederlanden und dem heutigen Flandern.
Beliebt waren vor allem biblische Motive, u. a. aus dem Alten Testament und den apokryphen Schriften, dem Neuen Testament, der Marienlegende und der Passionsgeschichte. Die selteneren weltlichen Themen kreisen vor allem um Allegorien, Symbolik und Mythologien. Die Roundels entstanden oft in Serien. Das humanistische und reformatorische Gedankengut der Neuzeit spiegelt sich vor allem in der Bildfolge des Verlorenen Sohnes, einem häufig gewählten Thema. Die Linnicher Ausstellung stellt verschiedene Sequenzen dieses Gleichnisses aus unterschiedlichen Zyklen vor.
Während die Glasmaler weitgehend unbekannt sind, verweisen selten erhaltene Glasbordüren vereinzelt auf Anlass und Datum der Entstehung. Oftmals lassen sich Darstellungen auf den Roundels von graphischen Vorlagen berühmter Künstler ableiten, wie z.B. Lucas van Leyden, Dirk Jacobsz Vellert oder Maarten van Heemskerk.
Im Gegensatz zu dem aus einem Glasstück bestehenden Roundel besteht die Schweizerscheibe aus mehreren Glasstücken, die durch Bleiruten miteinander verbunden sind. Darüber hinaus unterscheidet sie die zusätzliche Verwendung von farbigem Hüttenglas - leuchtende Blau- und Grüntöne und rotes Überfangglas - vom zweifarbigen Roundel. Die aufwändig gestalteten Schweizerscheiben entstanden im 16. Jahrhundert aus dem regionalen Brauch, zu besonderen Anlässen (Hausneubau oder Renovierung) kostbare Glasmalereien zu verschenken, mit denen sich die Stifter in den Fenstern der Gebäude verewigten. Auch die Gattung der kleinformatigen, schlichter gestalteten Fensterbierscheiben im17. und 18. Jahrhundert entsprang dem Brauch der Fensterschenkung, hier aus Anlass von Richtfest oder Hochzeit mit anschließendem feierlichem Gelage.
Die Kabinettscheiben sind rare und kostbare Zeugnisse vergangener Kulturepochen. Ihre narrativen Darstellungen nehmen den Betrachter mit auf eine Reise in die Tiefen von längst vergangenem visuellem Gedankengut des Mittelalters und der Neuzeit.
Die Ausstellung ist bis 4. August zu sehen.
Dies ist mir was wert: | Artikel veschicken >> | Leserbrief zu diesem Artikel >>
NewsletterSchlagzeilen per RSS
© Copyright