Rede zum 20-jährigen Bestehen der Frauenberatungsstelle Jülich
Von Katarina Esser

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Jubilarinnen,

zunächst einmal überbringe ich die besten Grüße von Bürgermeister Heinrich Stommel, der der Einladung zu diesem Festakt gerne gefolgt wäre. Zeitgleich ist jedoch der Rat der Stadt Jülich zusammen gekommen, um den Haushalt für das Jahr 2007 zu verabschieden. Herr Stommel lässt sein Fernbleiben aus diesem Grund entschuldigen und ich darf Ihnen neben seinem Dank für das Geleistete in den zurückliegenden 20 Jahren seine guten Wünsche für ein weiterhin erfolgreiches Schaffen auch in der Zukunft überbringen.

Dem Dank und den Wünschen des Bürgermeisters möchte ich mich ausdrücklich anschließen. Denn dass die engagierte Arbeit für Frauen und Kinder, die von Gewalt betroffen sind, in der Vergangenheit viel zum Positiven verändert hat und trotzdem auch in Zukunft erforderlich sein wird, steht außer jeglichem Zweifel.

Die Vereinsfrauen haben mich gebeten, aus Anlass des 20-jährigen Bestehens von Frauen helfen Frauen e.V. die frauenpolitisch relevanten Veränderungen der letzten 20 Jahre aufzuzeigen. Nachdem ich in etwa überblickte, was das bedeutete, entschied ich mich, von dem Vorhaben abzulassen. Wäre ich der Bitte nachgekommen, so wären Sie, liebe Gäste, wie ich selbst zunächst von der Fülle der Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Richtlinien und offizielle Protokolle überaus überrascht, und dann vermutlich aufgrund der zwangsläufigen Dauer meiner Ausführungen ermüdet. Da nach mir ja noch andere reden sollen und hoffentlich auch Zeit bleibt für das eine und andere Gespräch miteinander konzentriere ich mich auf die Veränderungen, die in Zusammenhang mit der Gewalt gegen Frauen stehen. Wohlwissend, dass die Arbeit des Vereins nicht aus-schließlich in diesem Feld geleistet wird.

Aber es war die Konfrontation mit der Tatsache, dass Gewalt gegen Frauen in unserer Gesell-schaft existiert, und zwar in erheblichem Ausmaße existiert, und ihre Einstellung, das nicht hinnehmen zu wollen, die vor 20 Jahren 13 Frauen zur Gründung des Vereins zusammenführte. Und bis heute gehört die Beratung und Begleitung von Frauen und Mädchen, die Gewalt erfahren haben und unter ihren Folgen leiden wie auch die Öffentlichkeitsarbeit und Angebote zur Prävention besonders in Schulen zu den Kernaufgaben der Beratungsstelle.

Schauen wir 2 Jahrzehnte zurück.

Im Regierungsbericht der Gewaltkommission von 1990 (der Verein ist drei Jahre alt) hieß es: Gewalt in der Familie - also Gewalt gegen Frauen und Kinder - sei der größte Anteil der in der Gesellschaft zu verzeichnenden Gewalt. Diese Aussage traf leider bereits in den 70er Jahren zu und hat nach Kenntnis der Lage auch im Jahr 2007 nichts an Aktualität eingebüßt.

Geändert hat sich allerdings in der Zwischenzeit eines:

Gewalt gegen Frauen ist sichtbar, sie ist benennbar und sie wird heute als Unrecht verstanden, das einen Anspruch auf Hilfe begründet. Die Erkenntnis, dass das Leben aller Frauen, also nicht nur der Opfer von Gewalt, durch diese Gewalt beeinträchtigt ist, hat sich breit durchgesetzt, denn Frauen in allen Lebenslagen erleiden sexuelle, körperliche und seelische Verletzungen oder sie fühlen sich davon bedroht und richten ihr Leben in nicht unerheblichem Maße danach aus, möglicher Gewalt auszuweichen. Zum Beispiel, indem sie in ihrem Heimatort im Dunkeln nicht mehr das Haus verlassen und ihre Teilnahme am öffentlichen Leben auf die Stunden der Helligkeit beschränken.

Die Statistik gibt uns ein nüchternes Spiegelbild. Sie zwingt uns die Erkenntnis auf: Die Würde der Frau ist antastbar, und das an jedem von 365 Tagen eines Jahres.

Die Überwindung des Schweigens und der Sprachlosigkeit gegenüber der Gewalt und ihren Opfern verlief seit den 70er Jahren in Wellen. In Zeitabständen von mehreren Jahren gab jeweils ein neuer Aspekt von Gewalt Anlass zur Empörung, wurde aber auch Anlass zu Projekten der Solidarität und der Hilfe und löste auf politischer Ebene Forderungen nach einer Veränderung der Gesellschaftsverhältnisse aus.

Zu Beginn der 70er Jahre stand die Misshandlung in der Ehe in der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die ersten Frauenhäuser zum Schutz von Frauen und ihren Kindern wurden eingerichtet. Hämische Angriffe in politischen Gremien, Presse und Öffentlichkeit waren an der Tagesordnung, aber die Verleugnung der häuslichen Gewalt gegen Frauen als gesellschaftliches Problem war brüchig geworden und die Verleumdung der Betroffenen musste schweigen, als diese selbst berichten konnten. Und das taten sie in großer Zahl.

Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass Frauenmisshandlung erschreckend häufig in ganz normalen Ehen vorkommt: Es gibt sie in allen Gesellschaftsschichten. Mit dieser Einsicht ließ allerdings auch die Schockwirkung der Enthüllungen aus der frühen Frauenbewegung nach.

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Katarina Esser, Amtsleiterin für Sozialplanung und Gleichstellung der Stadt Jülich

Katarina Esser, Amtsleiterin für Sozialplanung und Gleichstellung der Stadt Jülich

Auf die Entdeckung der häuslichen Gewalt folgte das Entsetzen über das Ausmaß sexueller Gewalt gegen Frauen. Jede dritte Frau, so förderte eine Studie des Bundeskriminalamtes zutage, wird im Laufe ihres Lebens Opfer eines gewalttätigen – auch sexuell motivierten - Übergriffs. Notrufprojekte für vergewaltigte Frauen entstanden in diesen frühen 80er Jahren. Zunächst als Selbsthilfeprojekte gegründet, entwickelten sich aus ihnen in den Folgejahren hochprofessionelle Beratungszentren. Die Notrufstellen kämpften und kämpfen bis heute mal mehr, mal weniger erfolgreich um eine staatliche finanzierte Absicherung und die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Arbeit. Auch wenn es heute einen breiten gesellschaftlichen Konsens für ihre Existenz gibt, müssen die Projekte immer noch und immer wieder um ihre Finanzierung bangen.

Die Diskussion um Vergewaltigung ebbte schließlich ab. Mitte der 80er Jahre machten Feminis-tinnen dann die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz zum öffentlichen Thema. Es zeigte sich ein schon bekanntes Muster: Hohn und Spott schlugen ihnen entgegen. „Selbst schuld, warum zieht die auch einen so kurzen Rock an? Wenn eine Frau nein sagt, meint sie doch eigentlich ja. Jetzt stell dich doch nicht so an, war doch nur Spaß!“ nach einem Griff an die Brust waren Sätze, die in diesem Zusammenhang fielen und zeigen, wie tief verwurzelt die Geringschätzung von Frauen war und wie stark die Vorurteile in den Köpfen, nicht nur von Männern.

Der Gesetzgeber verabschiedete im Jahr 1994 das Beschäftigtenschutzgesetz zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Es wurde vom heiß diskutierten Allgemeinen Gleich-behandlungsgesetz, das im vergangen Jahr in Kraft trat, abgelöst. Sexuelle Belästigung erfüllt demnach den Tatbestand der Diskriminierung und muss auf Antrag verfolgt werden.

Gehen wir weiter in der Chronologie. Im weiteren Verlauf der 80er Jahre standen zunächst die Vergewaltigung in der Ehe und dann der sexuelle Missbrauch von Mädchen im Blickfeld der öffentlichen Aufmerksamkeit.
Den mühsamen Diskussions- und zähen Entscheidungsprozeß um die Strafbarkeit ehelicher Vergewaltigung brauche ich nicht in Erinnerung zu rufen. Er fand – dank der parteiübergreifenden Initiative mutiger Politikerinnen - 1997 ein Ende und seitdem gilt das sexuelle Selbstbestim-mungsrecht in der BRD auch für verheiratete Frauen.

Realisieren zu müssen, dass es sexuellen Missbrauch an Mädchen und wie zunehmend erkannt wurde auch an Jungen gibt und dass dieser in scheinbar normalen Familien jahrelang verborgen bleibt, erschreckte zutiefst. Wiederum waren es Feministinnen, die Projekte, Initiativen und Beratungsangebote initiierten. Mädchenhäuser wurden eingerichtet, Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurse ins Leben gerufen, Runde Tische entstanden mit dem Ziel, möglichst früh möglichst professionelle Hilfe organisieren zu können. Auch hier galt es, auf einen gesellschaftlichen Konsens hinzuwirken, der darin besteht, nicht vorbeizuschauen, sondern hinzugucken und zu helfen.

Und zwar auch dann, wenn Frauen und Kinder von Sextouristen in der Dritten Welt sexuell ausgebeutet werden. Kampagnen wie etwa die von Terre des femmes und Terre des hommes ächten den Sextourismus in die Dritte Welt und erreichten, dass die Schändung von Kindern strafrechtlich verfolgt wird. Ein wichtiges Signal - auch wenn die Durchsetzung dieses Gesetzes nicht leicht zu sein scheint.

Es wurde bekannt, in welchem Ausmaß mit Menschen gehandelt wird. Wir wissen, dass der Menschenhandel weit mehrheitlich ein Handel mit Frauen ist. Seit der Öffnung nach Osteuropa wurden schätzungsweise 100000 (!) Frauen in die BRD eingeschleust und zur Prostitution gezwungen.

Im Dezember 2000 wurde das UNO-Protokoll zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels beschlossen.

Bilder und Informationen über den taktischen Einsatz systematisch vorgenommener Vergewaltigungen in Kriegen – ob im Jugoslawienkrieg oder auf dem afrikanischen Kontinent – überschwemmten uns in den 90er Jahren.

Ich zähle diese Ausformungen von Gewalt gegen Frauen und Kinder auf, weil sie eben nicht irgendwo in der Welt passieren, weit entfernt von uns, sondern weil Frauen und Kinder, die Opfer dieser Gewalt geworden sind, vielleicht unter uns leben, sie zu uns nach Jülich gekommen sind, als traumatisierte Flüchtlinge, Schutz suchend, Sicherheit suchend, Beratung suchend.

Mit dem Wechsel des Jahrtausends kam neue Bewegung in die Diskussion um häusliche Gewalt. 2002 wurde das Gewaltschutzgesetz verabschiedet. Erstmals muss seitdem nicht das Opfer die gemeinsame Wohnung verlassen, sondern der Täter kann von der Polizei der gemeinsamen Wohnung verwiesen werden.

Nach langer kontroverser Diskussion wurde im März 2007 Stalking (zu deutsch: Nachstellung) unter Strafe gestellt.

Seit wenigen Jahren mobilisieren breit angelegte Kampagnen gegen Zwangsverheiratung und für eine gesellschaftliche Ächtung sog. Ehrenmorde.

In den zurückliegenden Jahrzehnten – so zeigt meine geraffte Chronik - sind immer neue Formen von Gewalt aufgedeckt worden und es besteht leider kaum Hoffnung, dass dieser Prozess zum Stillstand kommt. So häufen sich in allerjüngster Zeit beunruhigende Berichte über jugendliche und kindliche Sexualstraftäter. Da ist von Kindern die Rede, von Jungen im Alter von 9 Jahren, die versuchen, in der Gruppe ein Mädchen zu vergewaltigen. Im Internet kursieren Bilder von Vergewaltigungen, die an Verrohung und Grausamkeit nicht zu überbieten sind. Per Handy lassen Jugendliche Bilder über sexuell gedemütigte Mädchen kursieren.

So hat sich mit dem Einzug neuer Technologien wie dem Internet und dem Handy eine neue Qualität der Gefährdung von Kindern und Jugendlichen, sowohl Opfer als auch Täter zu werden, entwickelt.


Bei jeder der dargestellten Wellen der gesamten Auseinandersetzung mit Gewalt ging es der Frauenbewegung stets darum, zu zeigen, dass gewalttätige und sexuelle Übergriffe eine massive Schädigung und Verletzung des Selbst bedeuten.

Sie sind keine Bagatelldelikte, es handelt sich nicht um Kavaliersdelikte!

Zugleich sollte und soll ein Bewusstsein geschaffen werden für das Ausmaß und die Verbreitung solcher Übergriffe in der Gesellschaft.

Und: es sollte Hilfe angeboten werden.

Die Gewaltdiskussion hat inzwischen ihre Anrüchigkeit, keineswegs aber ihren Schrecken verloren. Auf dem von Feministinnen bereiteten Weg sind viele konkrete Hilfsmaßnahmen für die Opfer entwickelt worden. Auch die öffentliche Hand hat zunehmend Position bezogen und unterstützt eine dichte Infrastruktur frauenspezifischer Angebote.

Ein Erfolg. Ein Erfolg, zu dem in Jülich seit 1987 auch der Verein „Frauen helfen Frauen“ beigetragen hat. Mit Intelligenz, Beharrlichkeit, Mut und Phantasie und der Bereitschaft, sich immer wieder persönlich zu konfrontieren: mit den Opfern von Gewalt und mit einem Umfeld, das sicherlich nicht von Beginn an und auch jetzt nicht immer interessiert und offen bereit ist zuzuhören und das seine Unterstützung nur zögerlich gewähren wollte und will.

Ein Erfolg. Ja. Aber auch ein bitterer.

Wir bieten den Opfern körperlicher und sexueller Gewalt Schutz. Aber es ist in unserer Gesellschaft nicht gelungen, dass die Gewalt endet.

Ich sorge mich, dass wir uns - im Gegenteil – mit ihr einrichten werden. So als gehöre es zu den ganz normalen Risiken eines ganz normalen Frauen – und auch Kinderlebens, Gewalterfahrungen ausgesetzt zu sein. Wir müssen dann eben die passende Hilfeleistung aktivieren. Diese Hilfeleistungen überlassen wir weitgehend Fachfrauen und den wenigen Fachmännern (zum Glück nimmt ihre Zahl zu), die sich um die Opfer und Täter von Männergewalt kümmern und dafür sorgen, dass der Gewaltkreislauf unterbrochen wird und Frauen und Kinder ihr Leben neu anfangen können.

Wir neigen dazu, von den Betroffenen zu erwarten, dass sie nach einer kurzen Zeit ihr Leben wieder in die Hand nehmen, als wäre alles nie geschehen. Es fällt uns ganz offensichtlich schwer, zu akzeptieren, dass man die traumatischen Auswirkungen von Gewalt nicht im Schnellverfahren lindern oder heilen kann. Und welche gravierenden Langzeitfolgen erlebte Gewalt im Kindesalter hat, ist mittlerweile durch zahlreiche Studien belegt.

Es ist uns – bei aller Vorsicht in der Einschätzung – durchaus gelungen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Schuld für körperliche und sexuelle Übergriffe nicht bei den Opfern liegt. Insoweit hat die Frauenbewegung das gesellschaftliche Rechtsempfinden verändert.

Aber es ist noch nicht gelungen, aus dem „Frauenproblem“ ein „Männerproblem“ zu machen. Nach wie vor ist die Bereitschaft von Männern, sich mit Männern als Täter zu beschäftigen, zu gering. Das beginnt bei einer emanzipatorischen Jungenarbeit und endet bei der Entwicklung von effektiven Konzepten und Strategien im Umgang mit Misshandlern, Missbrauchern und Vergewaltigern.

Und dabei ist es sicherlich nicht damit getan, nach „Therapie statt Strafe“ zu rufen, in dem Wissen, dass Therapie ohnehin nicht möglich ist, wenn keine Unrechtbewusstsein vorhanden ist. Genau das fehlt sexuellen Straftätern in aller Regel. Wenn wir aber zunehmend dazu übergehen, gewalttätige Übergriffe als Krankheitszeichen zu interpretieren, nehmen wir bedenkliche Folgen für die moralische Qualität und das Rechtsempfinden unserer Gesellschaft in Kauf. Wir geben die Möglichkeit auf, jemanden für sein Handeln verantwortlich zu machen.

Und auch der umgekehrte Weg, Strafe statt Therapie griffe zu kurz.

Die Ausübung von Gewalt muss geächtet werden. Von uns allen! Und wir alle sind zu praktischem Handeln aufgerufen.

Liebe Vereinsfrauen: Nun will euch sicher niemand in die Verantwortung nehmen, in all den geschilderten Handlungsfeldern aktiv zu werden. Ihr seid Teil eines Netzwerks, in dem eine Vielzahl von Kooperationspartnern und –partnerinnen wichtige Funktionen erfüllen. Elke Ricken-Melchert wird über dieses Thema später sprechen.

Aber: ihr macht wichtige Arbeit und das mit wachsender Professionalität seit 20 Jahren. Dass mit euch weiter zu rechnen ist, ist deutlich zu hören. Und dafür spreche ich allen, die einen Beitrag geleistet haben, dass der Verein auch nach 20 Jahren noch sagen kann: Geht doch! meinen Dank aus!

Zum Abschluss möchte ich euch einen Satz von Alice Schwarzer mit auf den Weg geben:

„Um gar keinen Preis möchte ich die manchmal recht dünne Luft der Konfrontation wieder eintauschen gegen das Stickige des Sich-Einreihens, des Sich-Beugens.“

Vielen Dank!

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