Ensemble Arttacke brillierte mit einem Stück von Igro Bauersimas

Theater de luxe im Jülicher Kulturbahnhof
Von Dorothée Schenk [03.05.2005, 10.39 Uhr]

Den Blick starr nach Vorne ins Innere gewendet, die Sprache knarzend, angestrengt, die Haare streng nach hinten „pomadiert“ legt Forscher Theo nervös um den Tisch streifend vor seiner Familie und den Gästen im Kulturbahnhof die Lebensbeichte ab. „Futur de Luxe“ feierte eine furiose Premiere mit dem begeisternden Ensemble „Arttacke“.

Die aufgetischte Neuigkeit von Familienoberhaupt Theo (Bernd Bleymehl, r.) hat (v.r.n.l.) Felix (Jörg Baumann), Ulla (Angelica Fernandez), Uschi (Monika Duda) und Rudi (Alexandra Schrouff) den Appetit verdorben.

Die aufgetischte Neuigkeit von Familienoberhaupt Theo (Bernd Bleymehl, r.) hat (v.r.n.l.) Felix (Jörg Baumann), Ulla (Angelica Fernandez), Uschi (Monika Duda) und Rudi (Alexandra Schrouff) den Appetit verdorben.

Mitreißend, welche Tiefe Bernd Bleymehl in der Figur des jüdischen Wissenschaftler Theo auslotet – abseits der außerordentlichen Leistung, den Großteil der komplizierten Textbeiträge zu bestreiten. Mit Laienschauspiel hat das kaum noch zu tun. Angelica Fernandez gibt Mutter Ulla, eine schönheitsoperierte Mittfünfzigerin im Jugendwahn mit überzeugend überspannter Spitzmündigkeit, die zeitweilig an eine reife Ingrid Steeger erinnert. In empörter Jugendlichkeit ist Monika Duda die sinnsuchende Uschi, das ökologische Gewissen der Familie, die Harmonie sucht und letztlich Auslöser der familiären Katastrophe ist.

Lässig entspannt, abgeklärt kommt in einer Hosenrolle Alexandra Schrouff als Medizinstudent Rudi daher, bis zur Erkenntnis, dass Hitler ihm/ihr mehr als nur den kleinen Finger reichte, in Abgründe stürzt. In Schrouffs Stechschritt-Monolog, in dem immer ein letzter Zweifel bleibt, ob die Gene nicht letztlich den Sieg davontragen, erlebte das KuBa-Publikum eine kleine Theater-Sternstunde. Eher ein Loser-Typ ist Felix. Jörg Baumann setzt den Maler in der Schaffenskrise und unfähig zur Konfliktbewältigung in Szene und wirkt als Klon des Vaters immer noch wie ein verzogener Fünfjähriger.

So findet sich die Familie in der blaugeblühmten Stube am Schabbath-Abend des Jahres 2020 wieder. Sogar die Vasen und Gläser sind blaugeblümt. Ein netter Einfall in der Ausstattung, der vermittelt: Egal, welche Zeit, welcher Ort – Familie bleibt Familie, bieder in ihren Grundfesten, der Streitkultur, des Generationenkonflikts, gefangen und jeder mit seinen kleinen Lebensgeheimnissen behaftet. Der Zuschauer fühlt sich sofort „Zuhause“.

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Rudi (Alexandra Schrouff) und Vater Theo (Bernd Bleymehl) auf Konfrontationskurs.

Rudi (Alexandra Schrouff) und Vater Theo (Bernd Bleymehl) auf Konfrontationskurs.

Wenn das Normale, hier in Gestalt der Eltern, aber abgedreht und irreal wirkt, das Abnorme – nämlich die genmanipulierten und geklonten Kinder – im Gewand des Alltäglichen daherkommt, ist es Zeit für eine „schöne neue Welt“. Sonja Wirtz, Regisseurin und Theaterpädagogin, hat zum vierten Mal ein gutes Gespür bewiesen. Im vergangenen Jahr erntete sie großen Erfolg mit ihrem selbstgeschriebenen Jugendstück „Zu(g)flucht“, diesmal wählte sie Autor Igor Bauersimas „Futur de luxe“. Sonja Wirtz versteht es, das Letzte aus ihren jungen Schauspielern vom KuBa-Ensemble „Arttacke“ herauszuholen. Dass sie tatsächlich schau-spielen und die Distanz zu den Figuren wahren können, ist die größte Überraschung, wenn die Spannung schließlich abfällt, und statt der Rolle der Mensch zur Verbeugung auf die Bühne tritt.

Ob das aktuelle Stück des gebürtigen Pragers Bauersima, der als Architekt, Musiker, Film- und Theaterautor/-regisseur tätig ist, ein Glücksgriff war, sei dahingestellt. Etwas überfrachtet ist es inhaltlich zwischen Genmanipulation, Schönheitswahn und der Frage zwischen Gut und Böse – um nur einige Themen zu nennen – und muss dann philosophisch-ethische Lebensfragen tragen. Ein problematisches Unterfangen, das dank der Leistung des Ensembles nicht in Schieflage geriet und den Titel verdient: „Theater de luxe“.

Weitere Aufführung am 10, 11. und 12. Mai jeweils ab 20 Uhr. Kartenbestellungen beim Kulturbahnhof, Tel. 02461-346643.

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