Jülich: Potenzial möglicher Alzheimer-Wirkstoffe erkennen
Von Redaktion [15.10.2015, 18.43 Uhr]
![]() Die Krankmachenden Oligomere (hier sichtbar mithilfe eines Rasterkraftmikroskops, Maßstab 200 Nanometer) sind winzig klein und erst in letzter Zeit in den Fokus der Forschung gerückt. Copyright: Forschungszentrum Jülich / HHU |
Ein Mittel gegen die Alzheimersche Demenz wird weltweit mit Hochdruck gesucht. Doch zunächst als Hoffnungsträger gehandelte Substanzen enttäuschten bislang immer wieder in klinischen Studien. Ein Grund für die Rückschläge könnte die Wahl des falschen molekularen Ziels für diese Substanzen und mangelnde Genauigkeit der Verfahren sein, mit denen im Vorfeld deren Wirkpotenzial eingeschätzt wird. Forscher aus Jülich und Düsseldorf haben nun eine präzise Methode entwickelt, um früh festzustellen, bei welchen Wirkstoffkandidaten sich die weitere Entwicklung lohnt.
Das Verfahren misst den Effekt auf toxisch wirkende Eiweißaggregate und differenziert dabei erstmals zwischen unterschiedlichen Aggregatgrößen. Tests im Tiermodell zeigten, dass diese Messwerte schon früh auf die spätere therapeutische Wirksamkeit im Organismus hinweisen. Die damit mögliche Vorauswahl könnte in Zukunft helfen, Tierversuche mit ineffizienten Substanzen zu vermeiden. Die Ergebnisse wurden im Open Access Journal Scientific Reports der Nature-Gruppe veröffentlicht.
Bei der Alzheimerschen Demenz kommt es im Gehirn zu einem massenhaften Absterben von Nervenzellen. Als Ursache gelten Verklumpungen des körpereigenen Proteins Amyloid-beta (A?), die als abgelagerte Fibrillen und Plaques im Hirngewebe sichtbar sind. Wirkstoffe gegen Alzheimer richten sich deshalb meist gegen die Aggregate dieses Proteins. Neuere Forschung hat allerdings gezeigt, dass sich die Schädlichkeit der unterschiedlichen Aggregatgrößen stark unterscheidet: So scheinen die größeren Fibrillen und Plaques nicht die schädlichsten Aggregatformen zu sein. Stattdessen erwiesen sich sogenannte A?-Oligomere – kleinere, noch lösliche und dadurch frei bewegliche Aggregate, die die Vorstufen der Plaques sind – als für Nervenzellen besonders toxisch.
Viel deutet inzwischen darauf hin, dass diese Oligomere die entscheidende Rolle für die Entstehung und das Fortschreiten der Krankheit spielen. "Mit diesem Wissen hat sich das Ziel, das ein Wirkstoff ins Visier nehmen sollte, präzisiert", sagt Professor Dieter Willbold, Direktor am Institute of Complex Systems (ICS-6: Strukturbiochemie) des Forschungszentrums Jülich und des Instituts für Physikalische Biologie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. "Ein Medikament müsste demnach umso effektiver sein, je effizienter es die Zahl toxisch wirkender Oligomere reduziert", so Willbold. Diese Eigenschaft lässt sich prinzipiell bereits testen, bevor mit oft langwierigen Studien im Tier begonnen wird. Ein quantitatives Verfahren, um den Einfluss einer Substanz auf unterschiedliche A?-Aggregatgrößen präzise zu analysieren, fehlte bisher jedoch.
![]() Im Gehirn wird das Protein Amyloid beta aus einem größeren Protein herausgeschnitten (l). Als einzelnes Molelkül ist es harmlos, kann sich jedoch mit der Zeit zu Oligomeren zusammenlagern. Quelle: Tricklabor |
"Das Problem ist uns während unserer eigenen Wirkstoff-Forschung aufgefallen", berichtet der Forscher. Seit mehreren Jahren entwickeln Willbold und seine Mitarbeiter den Wirkstoffkandidaten "D3" und davon abgeleitete Derivate, die sich gegen Oligomere richten. In Studien an Labormäusen, die genetisch bedingt ähnliche Proteinablagerungen im Gehirn wie menschliche Patienten entwickeln und dadurch an kognitiven Beeinträchtigungen leiden, hat die Behandlung mit D3 bereits Wirkung gezeigt. Seitdem wird die Substanz optimiert und die davon abgeleiteten, optimierten Varianten, D3-Derivate genannt, stehen derzeit vor den ersten Tests im Menschen. "Gerade für diese Optimierung war es entscheidend, die Eliminierung von Oligomeren genauer messen zu können, sodass der Mangel an einem geeigneten Verfahren deutlich wurde", sagt Willbold.
Um diese Lücke zu schließen hat der Erstautor der Studie, Dr. Oleksandr Brener, in enger Zusammenarbeit mit weiteren Wissenschaftlern des Institutes während seiner Doktorarbeit das Verfahren QIAD entwickelt (für engl. quantitative determination of interference with A? aggregate size distribution). Dabei sortiert zunächst eine spezielle Form der Zentrifugation den in A?-Proben vorliegenden Mix aus Einzelmolekülen und unterschiedlich großen Aggregaten der Größe nach in mehreren Fraktionen.
Anhand des eigenen Wirkstoffkandidaten D3 testeten die Forscher dann, ob sich mit den Messwerten auch die spätere Wirksamkeit im Organismus vorhersagen lassen würde. Dazu verglichen sie die Substanz mit der optimierten Weiterentwicklung "D3D3", von der eine höhere Effizienz im Beseitigen der A?-Oligomere erwartet wurde. Tatsächlich ergab die Messung, dass die neue Variante im Durchschnitt 96 Prozent der Oligomere aus Proben entfernte, während es bei der Originalversion etwa 50 Prozent waren. Im nächsten Schritt wurden beide Wirkstoffe erneut in Mäusen getestet. Der Vorteil für D3D3 wurde hier bestätigt: Im Vergleich zu D3 verlangsamte es die Neurodegeneration noch stärker, wie Dr. Tina Dunkelmann, die Zweitautorin der Studie, in ihrer Promotionsarbeit zeigen konnte. Dass D3D3 im Tiermodell auch die Kognition verbessert, konnte im Labor der Kooperationspartner an der University of Alabama at Birmingham von Dr. Thomas van Groen und Dr. Inga Kadish gezeigt werden.
"Dieses Ergebnis war für uns doppelt interessant", sagt Willbold: "Es liefert zum einen wichtige Informationen für die Optimierung unseres Wirkstoffes. Zum anderen zeigt es, dass die QIAD-Analyse tatsächlich den Schluss auf spätere Wirksamkeit im Organismus zu erlauben scheint." Das Verfahren könnte damit in Zukunft von Forschern genutzt werden, um die erfolgversprechendsten Substanzen zielsicherer als bisher zu identifizieren. Die hohe Zahl klinischer Rückschläge in der Alzheimerforschung könnte damit verringert werden. Da die Verklumpung körpereigener Eiweiße auch bei weiteren neurodegenerativen Erkrankungen, wie etwa Parkinson, eine Rolle spielt und QIAD vergleichsweise einfach an verschiedene experimentelle Erfordernisse anpassbar ist, könnte das Verfahren auch bei der Suche nach Medikamenten für diese Erkrankungen eingesetzt werden.
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