Interview und Rückblick mit Heinrich Stommel
Schon länger als die Bundeskanzlerin
Von Dorothée Schenk [17.10.2015, 18.29 Uhr]
Es gibt tatsächlich Jülicher, die eine Zeit ohne Heinrich Stommel und Angela Merkel an Spitze von Stadt und Staat gar nicht kennen. Das zeigt die Dimension dieser Amtszeiten - und dabei hat der Bürgermeister der Bundeskanzlerin sogar noch eine Wahl voraus. Ein Vierteljahrhundert Stadtgeschichte hat der Westfale und Wahl-Jülicher die Stadt, das Bild nach innen und außen sowie sein "Betriebsklima" mit geprägt. Als Technischer Beigeordneter kam er, blieb als Stadtdirektor und wurde zum Bürgermeister ab 1999 folgend gewählt.
Nach 25 Jahren haben sie künftig mehr Zeit für sich: Elisabeth und Heinrich Stommel. |
Vor 25 Jahren, als Heinrich Stommel nach Jülich kam, hielten die Busse noch auf dem Walramplatz, der Jülicher Bahnhof erwachte langsam aus dem Dornröschenschlaf, der napoleonische Brückenkopf war noch Eigentum der Natur. Es gab kein Kulturhaus am Hexenturm (Eröffnung 1992) und kein Technologie-Zentrum (Eröffnung 1992), keinen Brückenkopf-Park (1999), keine Galeria Juliacum (Eröffnung 2002) und keinen FH-Campus auf der Merscher Höhe (Baubeginn 2007). Aber es sind nicht nur die offensichtlichen Dinge, an die sich zu erinnern lohnt: In seiner Amtszeit kam der Nobelpreis nach Jülich. Dr. Peter Grünberg errang ihn 2007, und ihm wurde 2008 zum ersten Mal nach 45 Jahren die Ehrenbürgerwürde Jülichs verliehen - natürlich durch Heinrich Stommel.
Die Ehrungen sind sicher die erfreulichsten Termine, die ein Bürgermeister haben kann, und dazu gab es reichlich Gelegenheit: Sechs Ehrenringe der Stadt Jülich konnte Heinrich Stommel verleihen - im ersten Amtsjahr als Bürgermeister an Kunigunde Jagdfeld (1999), dann an Helmut Scheuer (2002), Prof Joachim Treusch (2005), und Pater Manfred Karduck (2007), Unternehmer Dr. Richard Gissler-Weber (2009) und zuletzt an Heinz-August Schüssler (2013). Die Ehrenmedaille der Stadt Jülich nahmen aus seinen Händen drei Jülicher entgegen, nämlich 2011 das Ehepaar Susanne und Dr. Helmut Trinkaus, die Synonyme für das Schlosskonzerte-Programm, 2006 der Muttkraat Schäng Willi Pelzer und 2003 Johannes Hinßen und Heinrich Michael Rhein, die für die Atomiade in Jülich standen. Gerade noch nicht im Amt des Bürgermeisters war Heinrich Stommel, als Dr. Johannes Rau als NRW-Ministerpräsident a.D. den Minerva-Preis erhielt, der Karlspreis von Jülich, wie es so schön heißt. Dafür aber konnte er aber an den acht weiteren teilnehmen. Prominentester Preisträger war sicher 2006 Ranga Yogeshwar.
Eine Ehrung, die Jülich knapp verpasst hat war der Preis 2013 als Stadt der jungen Forscher. Dafür konnte Bürgermeister Stommel noch die Würdigung als Zukunftsstadt Jülich im Amt erleben.
Mit viel Einsatz im Amt: Bürgermeister Heinrich Stommel war auch als Schuhverkäufer und Nikolaus unterwegs in Jülich. |
Stark verändert hat sich in 25 Jahren natürlich auch die Schullandschaft, und Heinrich Stommel nahm als Kopf der Verwaltung natürlich an deren (Um-)Gestaltung teil und verantwortete die Einführung der Offenen Ganztagsgrundschulen und den Neubau der Katholischen Grundschule mit, den Umzug und Neuanfang der Schirmerschule zunächst im Zweckverband und jetzt seit diesem Jahr im kreisweiten Förderschulzweckverband, erlebte wechselnde Rektoren am städtischen Gymnasium Zitadelle – mit dem unrühmlichen Kapitel Hans Münstermann, den Umzug der Realschule, Neugründung der Sekundarschule… Lang ist die Liste und nicht immer ging es ohne Blessuren, etwa als das Schulbuch-Geld für Hartz IV-Familie gestrichen 2007 wurde.
Als Krisenmanager bewies sich Heinrich Stommel unter anderem bei der Evakuierung von 6500 Jülichern angesichts des Bombenfundes im Nordviertel. Wie hoch die Wogen schlagen können, zeigte sich nicht nur beim Jahrhunderthochwasser 2008, das Jülich zweimal in einem Jahrhundert heimsuchte. Das gilt auch für die Pläne zum vielzitierten Waikiki-Tropenbad 1999, sondern auch beim Schwimmleistungszentrum. Die Bäderfrage wird der neue Bürgermeister erben. Ebenso wie die Frage nach der Stadthalle, das Rathaus, das nun Kreishaus Nord werden soll. Das Verwaltungsgebäude am Schwanenteich bot seit 2007 auch viel Zündstoff, was am 19. September 2009 in der Schlagzeile bei der Jülicher Zeitung gipfelte Bürgermeister droht mit Teilschließung des Rathauses.
Im selben Jahr krankte das Krankenhaus unter der Trägerschaft der Malteser. Das wurde nicht geschlossen, aber über den Kreis Düren an die Caritas Trägergesellschaft West abgegeben. Das hat zur (Spät-)Folge, dass nun in Jülich keine Muttkraate mehr geboren werden - außer bei Hausgeburten - sondern ausschließlich Wahl-Jülicher in unserer Stadt einziehen können.
Abseits der ernsten Geschäfte machte Bürgermeister Stommel auch als Entertainer auf sich aufmerksam. Legendäre Auftritte als rappendes Stadtoberhaupt gab es, eher im Verborgenen dagegen fand der Besuch des Schüler-Varieté 2004 statt. Avanti Dilettanti hieß das Programm der Schirmerschule, bei dem das Ehepaar Stommel eine fesselnde Rolle hatte. Und wer erinnert sich noch an die Nikolaus-Wette? 2006 standen die Ratsherren mit Heinrich Stommel an der Spitze singend vor dem Hexenturm, und ein Jahr später löste der erste Bürger Jülichs den Wetteinsatz ein – ohne verloren zu haben: Er verkaufte Schuhe.
Nach diesem intensiven Rückblick bleiben dennoch Fragen offen, die nur Bürgermeister Heinrich Stommel selbst beantworten kann:
Welches Erlebnis aus Ihren Amtszeiten möchten Sie nicht missen?
Heinrich Stommel: Die Nobelpreisverleihung an Herrn Prof. Grünberg und die daraus resultierende Verleihung der Ehrenbürgerschaft durch die Stadt Jülich war sicher ein herausragendes Ereignis, das so nicht viele Bürgermeister erleben dürfen.
Welche Entscheidung in Ihrer Amtszeit war Ihrer Meinung nach am weitreichendsten?
Heinrich Stommel: Die Entscheidung für die Durchführung der Landesgartenschau hat das Gesicht Jülichs wesentlich zum Positiven verändert. Die Fördermittel des Bundes und des Landes NRW von ca. 50 Millionen DM für öffentliche Straßen, Plätze, Grünanlagen, Wege und unsere historischen Festungsanlagen waren an die Entscheidung für die Landesgartenschau gebunden.
Welcher Mensch an Ihrer Seite – außerhalb der Familie – war für Sie in Ihrer Amtszeit besonders wichtig und warum?
Heinrich Stommel: Ein alter Freund, der mit ähnlicher Qualifikation wie ich 1999 Hauptamlicher Bürgermeister in einer vergleichbar großen Stadt wurde, war für mich oft ein wichtiger Gesprächspartner, mit dem ich mich vertrauensvoll austauschen konnte. Die damit verbundenen inhaltlichen Diskussionen waren für meine abschließende Meinungsbildung stets sehr hilfreich.
Welche Klippe sollte der neue Bürgermeister Ihrer Meinung nach am besten umschiffen?
Heinrich Stommel: Er muß nicht immer alles erzählen, was er weiß - aber das, was er sagt, muß stimmen.
Welchen Rat sollte der neue Bürgermeister unbedingt beherzigen?
Heinrich Stommel: Er sollte sich nach einer offenen und umfänglichen Diskussion in der Verwaltung bei seinen Entscheidungen immer von der inhaltlichen Qualität der Argumente leiten lassen.
Der ehemalige Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel hat einmal folgendes angemerkt: "Zur Demokratie gehört, dass man nicht jeden Interessenhaufen zum Volk erklärt."
Mein unangenehmster Moment als Bürgermeister war…
Heinrich Stommel: … die schreckliche Brandstiftung in der Grünstraße mit fünf Toten. Bei meiner Trauerrede im Rahmen der Gedenkfeier auf dem Marktplatz hatte ich größte Mühe, die Fassung zu wahren.
Am meisten freue ich mich in meinem neuen Pensionärsstand auf…
Heinrich Stommel: … das, was in den vergangenen Jahrzehnten mein knappstes Gut war: Zeit!
Einige Bilder aus 25 Jahre Amtszeit Heinrich Stommel
25 Jahre Amtszeit (2)
25 Jahre Amtszeit (3)
Lesen Sie hierzu:
Das persönliche Fazit von Heinrich Stommel in seinen Abschiedsworten aus dem Stadtmagazin
Die Abschiedsrede von Vize-Bürgermeister Wolfgang Gunia anlässlich der offiziellen Verabschiedung bei der letzten Ratssitzung mit Heinrich Stommel
Noch mehr Persönliches auf der Eigene Homepage zur Wahl 2009
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