Dr. Lorenz liest aus seinem „Werkstattbericht“

Spurensuche: Wer war der Dürener Kinderarzt Dr. Leven
Von Redaktion

Vor siebzig Jahren war jeder zweite Kinderarzt in Deutschland Jude. 700 von ihnen sind von den Nazis ermordet worden. Einer von ihnen war Dr. Karl Leven – Kinderarzt in Düren. Sein Kollege Dr. Lorenz Peter Johannsen, praktizierender Arzt in Düren, hat sich vor zehn Jahren aufgemacht, die Spuren des Arztes Dr. Leven und seiner Familie in Düren, Köln, Aachen und in den Vernichtungslagern im Osten zu finden. Das, was er in den zehn Jahren zusammengetragen hat, ist nunmehr als „Werkstattbericht“ – wie der Autor bescheiden formuliert – erschienen. Das Buch ist 350 Seiten stark. In einer Lesung stellte Dr. Johannsen sein Werk nach der Mitgliederversammlung der Jülicher Gesellschaft gegen das Vergessen und für die Toleranz e.V. vor.

Buchtitel: Kinderarzt Dr. Leven, Lebensspuren – Todesspur

Buchtitel: Kinderarzt Dr. Leven, Lebensspuren – Todesspur

Es ist schon beeindruckend, wie viel der seit kurzem im Ruhestand befindliche Autor zusammengetragen hat. Danach sah es Anfangs gar nicht aus. Doch beharrliches Recherchieren, das Zusammenfügen vieler verstreuter Informationen, Gespräche mit Zeitzeugen und auch mit überlebenden Verwandten aus Manchester (England) ließen ein dichtes Bild vom Leben, aber auch vom Leiden des Dürener Kinderarztes aufscheinen.

Geboren wurde Dr. Karl Leven am 7. Juni 1895 in Düren. Seine Eltern waren der Makler Hermann Leven und dessen Ehefrau Sara Heimann. Im August 1914 legte er das Abitur ab, wurde später Soldat im Ersten Weltkrieg (1915 bis 1918). Er studierte Medizin in Bonn, München und Köln. Er erhielt 1922 seine Approbation, ab 1924 spezialisierte er sich in der damals noch recht jungen Zunft der Kinderärzte, wurde 1925 promoviert. 1931 ließ sich Dr. Karl Leven in seiner Heimatstadt Düren nieder. Er kann einige Zeit erfolgreich praktizieren. Er erwirbt sich den Ruf, sozial eingestellt zu sein. Mit dem Aufstieg der Nazis sinken die Möglichkeiten, in seinem Beruf tätig zu sein. Nach und nach werden die beruflichen Möglichkeiten eingeschränkt, dann auch die persönliche Existenz. In der Pogromnacht wird seine Praxiseinrichtung – die Praxis war schon längst geschlossen – demoliert. Dr. Karl Leven und seine Frau verlassen Düren. Ab hier sind die Spuren nicht mehr eindeutig.

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Lebte die Familie in Aachen oder in Köln? Konnte Dr. Leven noch als „Krankenbehandler“ seinen Mitmenschen helfen? Wie fristete die Familie ihr Dasein? Dr. Karl Leven, seine Frau und seine drei Kinder werden mit dem Zug „DA 22“ am 15. Juni 1942 nach Osten deportiert und dort ermordet. Dies alles – und natürlich sehr viel mehr – hat Dr. Johannsen bei seinen Studien herausgefunden. Er zeichnet sorgfältig das Bild eines fähigen Arztes, der großes Vertrauen bei seinen Patienten besitzt – auch nach 1933. Der Autor zeichnet aber auch ein Bild der Wirklichkeit in der Stadt Düren während der Nazi-Diktatur, die auch an ihren Bürgern nicht vorbeiging, sondern auch aktiv von ihnen gestaltet wurde. Dr. Johannsen geht es dabei nicht um den erhobenen Zeigefinger. Bedächtig abwägend, auch kritisch zu sich selbst und zur Geschichte seiner Familie lässt er den Leser teilhaben an einer Lebenswirklichkeit, die manche so weit wegschieben wollen.

Es sind aber die schrecklichen Verbrechen der Vernichtung von unschuldigen Menschen nicht irgendwo im Osten begangen worden. Vielmehr begann ihre Vernichtung sehr schnell und sehr sichtbar im unmittelbaren Lebenskreis auch hier im Rheinland, im Kreis Düren und seinen Gemeinden. Dies wird in dem „Werkstattbericht“ deutlich. Dies wird umso eindringlicher, je bedächtiger Dr. Johannsen seine Erkenntnisse vorträgt. Lang anhaltender Applaus dankte dem Autor für seine über 80-minütige Lesung in Jülich. Es war die erste nach der Vorstellung des Buches am 11. Oktober 2005 im Kölner EL-DE Haus. Die nächste Lesung ist im November bei der evangelischen Kirchengemeinde Düren, die auch die Herausgabe des Buches unterstützt hat.

Lorenz Peter Johannsen, Kinderarzt Dr. Leven, Lebensspuren – Todesspur, in der Reihe Jüdische Memoiren, Band 13, Verlage Hentrich & Hentrich, 24 Euro, ISBN 3-938485-05-01

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