J.W. Schirmer im Spannungsfelder zwischen Kunst und Wissenschaft

Das Bild ist eine Wolke
Von Dorothée Schenk

Führende den Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft: Prof. Dr. Joachim Treusch und…

Führende den Dialog zwischen Kunst und Wissenschaft: Prof. Dr. Joachim Treusch und…

Völlig neu und einzigartig ist in Jülich zur Ausstellung "Natur im Blick - Die Landschaften des Johann Wilhelm Schirmer" die Kooperation zwischen Wissenschaft und Kunst initiiert worden. Ein Dialog wird geführt zwischen dem Forschungszentrum Jülich, hier insbesondere dem Institut für Chemie und Dynamik der Geosphäre (ICG), und dem Städtischen Museum Jülich, zwischen der Umweltforschung des Instituts und der genauen Naturerfassung des romantischen Landschaftsmalers.

Die Forscher haben die Bilder von Schirmer angesehen und festgestellt: Schirmer stellt Systeme oder Sphären dar. Er nimmt Landschaftsbilder, teilweise Pflanzen in ihrem System wahr, schaut sich zum Beispiel Landschaft verbunden mit Landwirtschaft an. Das ICG stellt nicht Biologie, Physik, Chemie oder andere Naturwissenschaften ins Zentrum der Arbeit, es geht von Systemen und Sphären aus: Von Sedimentären Systemen, über die Agrosphäre, Phytosphäre, Troposphäre zur Stratosphäre - das ist die moderne Auffassung von Umweltforschung. Das ICG arbeitet speziell zwischen den Disziplinen, und diese Fragestellungen sind eben die interessanten und wichtigen in der heutigen Forschung.

Wie ein Wissenschaftler hat Schirmer sein Leben lang Daten aus der Natur gesammelt und zu einer künstlerischen Aussage komponiert. Dabei ist der Blick Johann Wilhelm Schirmers Instrument - heute braucht die Forschung dazu komplizierte Apparaturen. In einem Gespräch stellten Prof. Joachim Treusch, Leiter des Forschungszentrums Jülich, und Marcell Perse, Leiter des Städtischen Museums Jülich, ihre Ideen und Ziele der Kooperation von Wissenschaft und Kunst zu “Natur im Blick" einmal vor.

Marcell Perse: Wenn wir ein Wolkenbild sehen, aus einer Zeit, in der Umweltverschmutzung noch kein großes Thema war, reflektieren wir heute, dass die Luft nicht mehr nur einfach da ist, sondern unserer Beobachtung bedarf. Das gilt für viele andere Stellen - ob das Gewässer sind, der Boden, in dem die Pflanzen wachsen. Einige Pflanzen werden heute unter Versuchsbedingungen isoliert, um zu messen, was sie an Gasen abgeben und was an Stoffen in den Boden kommt, wie Düngungen. Das sind Fragestellungen, die der heute lebende Mensch aus den Medien, aus seiner Umwelt kennt. Wenn er ein solches Bild anguckt, weiß er, nicht Naturidylle, sondern Natur ist uns wichtig, nicht weil sie sich von selbst versteht, sondern weil daran heute gearbeitet wird. Und diesen Schnittpunkt, der im Kopf eines jeden Betrachters sowieso vorhanden ist, versuchen wir in der Ausstellung klar zu machen. Wenn man eine Ausstellung “Natur im Blick” in Jülich macht, ist man ganz besonders aufgefordert, diesen Dialog zu thematisieren.

Prof. Joachim Treusch: Diese Idee war so begeisternd, dass ich wusste, das muss gemacht werden. Das Forschungszentrum Jülich hat immer versucht, sich kulturell in die Stadt und die Umgebung zurückzubinden. Damit jedem klar wird: Wissenschaft passiert nicht im Elfenbeinturm, sondern in direktem Kontakt mit dem Menschen mit all seinen geistigen und kulturellen Bedürfnissen. Das begann beim ersten Minerva-Preis 1994 an Prof. Dr. Gert Kaiser, Rektor der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, und mit “Festung und Forschung”, diesem wirkungsvollen Vortrag, in dem deutlich wurde, das Forschungszentrum Jülich gehört genau nach Jülich, weil es eine Stadt ist, die so etwas tragen kann. In Zeiten der Renaissance repräsentierte sie sich in der modernsten Festung, die es damals europaweit gab, und jetzt repräsentiert sie sich in der modernsten Forschung weltweit. Das finde ich bemerkenswert.
Es ist auch eine Erwägung der Nützlichkeit. Wir wollen deutlich machen, was wir tun und das in allen möglichen verfügbaren Sprachen. Der wichtige Punkt ist, dass die Wissenschaftler selber spontan begeistert waren. Schirmer malte Landschaften im System. In der “Abendlandschaft” sieht man unmittelbar: Wald, Boden, Wasser gehören zusammen. Sonst funktioniert es nicht. In diesem Bild ist die ganze Treppe von Sedimentären Systemen über die Agrosphäre, Phytosphäre, Troposphäre zur Stratosphäre abgebildet.

Werbung

…Museumsleiter Marcell Perse

…Museumsleiter Marcell Perse

Perse: Mir fällt direkt eine große Parallele auf. Da wird versucht, in einzelnen Instituten des Forschungszentrums die Wirklichkeit zu erfassen. Die Wirklichkeit ist aber so komplex, dass sie in kein Modell paßt. Also wird versucht, Modelle zu erfinden, die die Wirklichkeit möglichst gut abbilden, damit man ein Gefühl für das Funktionieren einer Sache hat. Das gleiche findet sich in der Malerei, wenn Schirmer Details in der Natur sammelt und zu einem komponierten, weitgehend idealen Stück Natur zusammen auf eine Leinwand bringt.

Prof. Treusch: Ich stell mir vor, dass keiner aus der Ausstellung geht, den nicht lange Zeit das Gefühl verfolgt, “Du kannst nicht mehr in den Wald gucken, ohne zu merken, dazu gehört der Boden, das Wasser und der Himmel.” Diese Botschaft soll überkommen, dass die Systeme zwingend miteinander gekoppelt sind und jeder Schaden, den ich verursache, ein Schaden fürs Gesamtsystem ist. Das Auge ist ein empfindliches Organ, ich hoffe, die Menschen werden das nie mehr vergessen.

Perse: Wir führen den Dialog optisch. Schirmer ist ein Maler, der außer seinen Lebenserinnerungen keine Abhandlungen geschrieben hat, wie er die Welt sieht. Er hat Welt erfaßt und dargestellt. Zunächst mal soll aber das Zielpublikum, das kommt, um Bilder zu sehen, das besonders sensibel ist für optische Reize, die Botschaft auch in optischer Form erreichen. Das enthebt uns nicht der Verantwortung, dieser Optik auch einen Inhalt hinterherzustellen. Es soll der Hinweis gegeben werden: Historie ist nicht vorbei und Forschung und Zukunft haben ihre Wurzeln in der Vergangenheit. Es geht darum, die Problemstellung “Natur im Blick” heute und gestern zu visualisieren und eine Möglichkeit aufzuzeigen, sich zu informieren, wenn man weiter einsteigen will. Dies ist keine naturwissenschaftliche Ausstellung, aber sie zeigt, dass Malerei und Umweltforschung im Kontext stehen, und das ist die eigentliche Botschaft.

Prof. Treusch : Ich möchte sogar nach meinen Erfahrungen mit dem Jahr der Physik, in dem wir auch eine Kunstausstellung hatten, noch etwas mutiger sein. Eine enzyklopädische Belehrung ist nicht erreichbar. Wenn der Besucher aber die Fragen versteht, hat er soviel von der Sache verstanden, wie er als Laie verstehen kann. Im Jahr der Physik haben viele Menschen verstanden, was die Physik fragt, und waren darüber begeistert. Das ist ein ungeheuer wichtiger Teil des Erkenntnisprozesses, die Leute dazu zu verleiten, zu wissen, dass die Frage sinnvoll ist. Mehr können wir nicht schaffen. Der Rest ist Vertrauen. Die Menschen sollen erstmal die Arbeitsweise und die Denkweise verstehen, da ist diese optische Hilfe ein guter Einstieg. Die Wissenschaftler vom ICG, die dort stehen, werden auch Antworten geben. So wird unvermeidlich eine Menge an Informationen «rüberkommen, wie wir Umwelt verstehen, die sich als Grundwissen absetzen. Wenn Sie fragen: Fasziniert Sie der Maler? Hat der Maler Sie in Ihrer eigenen Kreativität beflügelt, dann müßte ich sagen: Nein ist eine gute Antwort. Das ist gar nicht schlimm. Man merkt nur, dies ist ein Medium, mit dem ich eine gute Chance habe, mich zu vermitteln. Hier bildet der Maler eine Denke, die in unserem Institut seit Jahren herrscht, in einer Weise ab, die jedem, der Malerei mag, einleuchtend über sein schärfstes Organ, nämlich sein Auge, beibringt, was hier passiert. Dabei ist die Frage, ob der Maler mir als Maler gefällt, nebensächlich.


Perse: Wenn ein Kind Landschaft und Himmel malt, dann nimmt es Deckweiss und fügt ein paar Wölkchen ein. Als ich mit den Forschern des Instituts für Stratosphärenforschung gesprochen habe, waren sie erstaunt, als sie Bilder sahen, die eine Wetterlage mit der passenden Wolkenbildung zeigten. Sie erkannten, da ist nicht nur irgendwie Welt gemalt, Schirmer hat sie protokollarisch erfaßt. Er konnte unterscheiden zwischen Fönwetterlage oder einer heraufziehenden Kaltfront. Er hat das viel-leicht nicht so genannt, aber so lange beobachtet, bis er gemerkt hat, Wolke ist nicht gleich Wolke, und wenn ich diese Stimmung abbilden möchte, male ich, was paßt. Das ist faszinierend für jemanden, der heute mit anderen Medien daran forscht, dass das Phänomen richtig beobachtet ist. Zum Beispiel der Bereich Sedimentäre Systeme, der Klima von Vergangenheit, von zig Millionen Jahren, als statistische Basis für
Klimaentwicklung nimmt. Am Klima hängen natürlich auch Biotope. Wenn die Forscher dann auf den Bildern erkennen: Schirmer zeichnet aus dem Jülicher Land Tümpel, und da kommen Pflanzen vor, die es hier heute nicht mehr gibt. Dann ist klar: Da hat eine Klimaverschiebung stattgefunden. Das fasziniert, weil es nicht nur trockene Daten sind, es macht die
Klimakurven der Vergangenheit plastisch.

Prof. Treusch: Die Ausstellung “Natur im Blick - Die Landschaften des Johann Wilhelm Schirmer” sind für das Forschungszentrum ein Bindeglied zwischen dem aktuellen Jahr der Lebenswissenschaften 2001 und dem Jahr der Geowissenschaften 2002. Umwelt hat mit Leben zu tun. So vergleichen wir eine vermeintlich heile Welt in den Bildern von Schirmer, wo er Frösche und Tümpel malte und heute Braunkohle gewonnen wird. Es stellt sich die Frage: Wo macht der Mensch die Umwelt kaputt, und wo macht die Umwelt dem Menschen Probleme.


Lesen Sie hierzu:
Die Jülicher Schirmer-Sammlung und seine Gönner

Malerfürst als Umwelt-Chronist und Landschaftsarchivar

Johann Wilhelm Schirmer in Daten, Zahlen, Fakten

Forschungen zum Werk von Johann Wilhelm Schirmer: Einige "verdächtige" Objekte

Das Wohnhaus Schirmer am Markt: Ein historischer Irrtum wird korrigiert


Dies ist mir was wert:    |   Artikel veschicken >>  |  Leserbrief zu diesem Artikel >>

NewsletterSchlagzeilen per RSS

© Copyright